
Hier finden Sie Informationen über den Autor Stefan Hensch. Es geht ums Schreiben, Phantastisches und Menschliches, Allzumenschliches.
Wenn Sie ihren Senf dalassen wollen, bitte gerne!
Hier finden Sie Informationen über den Autor Stefan Hensch. Es geht ums Schreiben, Phantastisches und Menschliches, Allzumenschliches.
Wenn Sie ihren Senf dalassen wollen, bitte gerne!
Vielleicht hat jeder Mensch etwas, wonach er sucht und was ihn manchmal nachts nicht schlafen lässt. Kapitän Ahab hatte Moby Dick, Odysseus den Weg in seine Heimat und Frodo Beutlin den Ring. Zugegeben, im Vergleich zu diesen Beispielen ist mein Gegenstand regelrecht gewöhnlich. Und trotzdem hat er mich fast 30 Jahre beschäftigt. In diesem Artikel erkläre ich, worum es sich handelt und wie ich meine Suche schlussendlich erfolgreich abschließen konnte.
Es war 1997, also vor nicht weniger als 28 Jahren. Meinem Opa ging es nicht so gut, er musste in eine Fachklinik im Westerwald eingewiesen werden. Wir haben ihn dort regelmäßig besucht, wie man das eben so macht.
In seinem Krankenzimmer gab es eine Zeitschriftenablage, die mit dem „Weltbild Magazin“ ausgestattet war. Da das Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft war und die Kirche auch irgendwie mit dem Weltbild Verlag verbunden war, liegt der Schluss nahe, dass das Magazin vom Krankenhaus ausgelegt wurde.
Ich war damals schon eine Leseratte, und in dem Magazin wurden neue Bücher vorgestellt sowie Interviews mit Autoren abgedruckt. Damit konnte ich mir die Krankenhausbesuche verkürzen, wenn mein Opa zur Untersuchung musste.
Jedenfalls gab es einige interessante Artikel, unter anderem auch über das Schreiben selbst. Ein Interview samt Buchvorstellung tat es mir aber ganz besonders an. Es war der Debütroman eines jungen englischsprachigen Autors, in dem ein älterer Mann seinem Sohn von seinem Leben erzählt. Das hört sich nicht sonderlich spannend an, aber oft geht es neben dem Inhalt ja gerade auch um die Form. Außerdem gab der Autor sehr tiefgründige Antworten.
Nun sind Krankenhausbesuche nicht wirklich für ihren wohltuenden oder entspannenden Charakter bekannt. Oftmals sind sie eher stressig und sorgenbeladen. So auch in dieser Episode. Das muss der Grund sein, weshalb ich mir weder den Autor noch den Titel des Romans notiert habe.
Seit dieser Zeit habe ich das Buch nie vergessen. Siebenundzwanzig Jahre später ist mein Großvater leider längst verstorben, und ich bin kein junger Mann mehr. Trotzdem musste ich immer wieder an diesen Roman denken. Wenn du magst, kannst du ja versuchen, ob du das Buch erraten kannst:
Mehr Informationen hatte ich nicht.
Zuerst habe ich vergeblich versucht, an Ausgaben des Weltbild Magazins aus der betreffenden Zeit zu gelangen. Offensichtlich gab es kaum Sammler. Als Nächstes habe ich bei Weltbild nachgefragt, ob die Ausgaben digitalisiert wurden oder noch Exemplare vorhanden wären – Fehlanzeige. Es folgten Recherchen über den Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, das Verzeichnis antiquarischer Bücher und weitere Suchen in Onlineverzeichnissen. Auch hier wurde ich nicht fündig.
Dann widmete ich mich YouTube und versuchte, über Sendungen wie das „Literarische Quartett“ aus dieser Zeit fündig zu werden. Dabei fand ich fast nur die erfolgreichsten Autoren der betreffenden Zeit, was überhaupt nicht half. Außerdem hatte ich das Buch in dieser Weise auch gar nicht in Erinnerung.
Mit ChatGPT habe ich dann einen weiteren Anlauf gewagt, was aber nicht zielführend war. Das kann diese App einfach nicht. Egal, was ich probiert habe – es führte in eine Sackgasse. Mit der Zeit habe ich mich damit abgefunden, dass es wohl Informationen gibt, die für immer verloren sind. Dieser Roman gehörte wohl auch dazu.
Trotzdem wollte ich nicht aufgeben, aber ich änderte meine Herangehensweise. Wenn dieser Autor mit seinem Debüt erfolgreich war, dann bestand doch auch die Wahrscheinlichkeit, dass er noch weiter aktiv war.
Deshalb kümmerte ich mich jetzt um die Bestsellerlisten der jeweiligen Jahre. Das war dann die absolut heillose Suche im Heuhaufen – leider völlig sinnlos. Zu viele Daten, zu wenig Anhaltspunkte.
Irgendwie schwirrte mir im Kopf herum, dass der Autor des gesuchten Romans vorher mal einen Literaturpreis für eine Kurzgeschichte bekommen hatte. Was lag also näher, als mir die Listen mit Preisträgern anzusehen? Das Problem dabei: Welche Preise kamen dafür infrage, und wie weit musste ich zurückgehen? Außerdem bewegte ich mich langsam aber sicher auf die Zeit vor dem Internet zu. Damit reduzierte sich die Wahrscheinlichkeit, überhaupt etwas im WWW zu finden. Und so war’s auch… Auch diese Suche führte geradewegs ins Nichts.
Wieder war ich an einem zumindest vorläufigen Ende angekommen. Wieder musste ich an die Hefte des Weltbild Magazins denken, aber die waren einfach nicht zu bekommen. Also beschloss ich, die Sache erstmal zu den Akten zu legen. Vielleicht ergab sich irgendwann etwas.
Kürzlich sah ich mir das Programm der diesjährigen Lit.Cologne an. Ein Teil der Auftritte würde erst im Februar veröffentlicht werden, aber ein Teil war schon da. Die Ex-Kanzlerin präsentierte ihre Biografie vor ausverkauften Rängen, irgendjemand veranstaltete ein Panel zu Justus Jonas, und ein paar Comedians steuerten auch einen Auftritt bei. Dann stolperte ich über „Twist – Colum McCann und Jan-Gregor Kremp über eine Eskalation auf hoher See“ und stutzte. Das Foto von Colum McCann kam mir irgendwie vertraut vor. Wo sollte ich ihn einordnen? Hatte ich mal etwas von ihm gelesen? Ich konnte mich nicht recht erinnern und scrollte weiter. Drei Veranstaltungen später scrollte ich noch mal hoch.
Der Autor trug eine (mehr oder minder) Glatze mit silbrig-dunklem Haarkranz. Das Gesicht sagte mir aber etwas. Colum McCann, dachte ich. Ein relativ einfacher, englischer Name… Er war jetzt 59 Jahre alt. Ende der Neunziger war er dann irgendwas um die Dreißig… Okay, er war durchaus ein potenzieller Kandidat für den gesuchten Autor. Aber war das nicht völlig verrückt?
Ich betrachtete erneut das Bild. Der Haarkranz war definitiv dunkel. Der Autor im Weltbild Magazin hatte volle dunkle Haare gehabt. Männer verlieren im Laufe der Zeit Haare. Davon kann ich ein Lied singen, aber das ist ein anderes Thema.
Ich zögerte, Wikipedia aufzurufen. War meine Suche jetzt zu Ende? Sollte die jahrzehntelange Suche durch einen Zufallstreffer mit Erfolg belohnt werden?
Natürlich habe ich nachgesehen. Sein Debüt „Sundogs“ (1995) wurde 1997 in Deutschland unter dem Titel „Der Gesang der Kojoten“ veröffentlicht. Und es geht um einen Vater, der seinem Sohn in Gesprächen von seinem Leben berichtet. Außerdem hat er 1994 den Rooney-Preis für irische Literatur gewonnen.
Das passte einfach zu gut. Aber war jetzt Colum McCann der gesuchte Autor? Bei YouTube fand ich einen Fernsehbeitrag des SWR über McCanns Buch „Der Himmel unter der Stadt“ und fuhr regelrecht zusammen: Volles dunkles Haar, zweifellos der gesuchte Autor!
BAMM!
Ich kann gar nicht sagen, wie ich mich jetzt fühle. Natürlich bin ich glücklich – ich habe meinen „Weißen Wal“ erlegt. Aber ich bin auch verwirrt: Wie selektiv nehme ich eigentlich die Welt wahr? Sämtliche Bücher von Colum McCann sind mindestens interessant für mich – weshalb ist er außerhalb meines Fokus geblieben?
Ich habe mir „Der Gesang der Kojoten“ sofort bestellt. Als Hardcover. In mir ist eine ziemliche Spannung: Was ist, wenn ich das Buch furchtbar finde? Habe ich dann jahrelang sinnlos ein Phantom gejagt?
Trotzdem fühlt es sich auf fast magische Weise richtig an. Vielleicht ist das ja auch eine Art Zeichen, dass ich jetzt auf meine ursprüngliche Lebenslinie zurückgekehrt bin? Selbst wenn ich den Stil furchtbar finden sollte, es mich langweilt oder ich davon abgestoßen werde – ich werde diesen Roman lesen, weil ich es einfach muss!
Vielleicht hört es sich kindisch und vermessen an, aber diesen Roman werde ich mit einer Widmung für mich selbst, die 28 Jahre und die Menschen, die mich dabei begleitet haben, versehen. Die Suche nach dem Roman und seinem Autor hat mich natürlich nicht wie Odysseus oder Frodo beansprucht. In dieser Zeit gab es aber viele Ziele, die ich glaubte, erreichen zu müssen. Kein einziges davon war an sich auch nur einen Cent wert und gleichzeitig waren sie allesamt unbezahlbar, denn sie haben mich zu mir selbst geführt.
Auch wenn es paradox anmutet – am Ende war es eine Rundstrecke. Aber ich musste den Umweg machen, um die Dinge wirklich auf allen Ebenen zu verstehen. Jetzt bin ich angekommen und brauche keinen Moby Dick mehr. Was aber nicht bedeuten soll, dass ich einer guten Jagd abgeneigt wäre – aber nicht wegen des Ziels, sondern ihrer selbst.
28 Jahre lang suchte ich nach einem Buch, dessen Titel ich nicht kannte.
Was ich dabei fand, war mehr als nur ein Roman. Mehr dazu auf meinem kostenlosen Substack: https://open.substack.com/pub/stefanhensch/p/das-ende-einer-langen-suche?r=43ajq2&utm_medium=ios. #literatur #leben
Seit Jahren erzählen mir Leute von einem neuen Bekannten, der sie teilweise sehr ärgert. Ich habe nun auch die zweifelhafte Freude, ihn zu kennen. Nachnamen hat er keinen, er ist einfach als Tinnitus bekannt.
Vielleicht werde ich tatsächlich alt. Das erste Mal hatte ich mit T. während einer Infektion zu tun. Bislang waren meine Ohren meist verschont geblieben, doch dieses Mal war das linke Ohr richtig „zu“. Die Erkältung heilte aus, und eigentlich war alles gut. Irgendwann hörte ich dann aber dieses tiefe Brummen, so als liefe vor dem Haus ein Dieselmotor.
Dann verschwand es eine ganze Zeit, und ich habe T. nicht vermisst. Irgendwann kam er wieder, meist wenn ich angeschlagen oder müde war. Zu Anfang hatte ich den Eindruck, dass es irgendwie mit meinem Nacken zu tun haben könnte. Je nach Beugung und Drehung schien das Geräusch anders zu sein. Mir war es egal, und ich ließ es brummen, bis es irgendwann ganz verschwand.
Bis letzte Woche blieb Freund T. weg – keine Postkarten, kein Anruf. Anfang der Woche meldete er sich jedoch fulminant zurück. Diesmal war er relativ deutlich zu hören, und vor allem nicht zu überhören: Er blieb plötzlich dauerhaft. Ich habe ein neues Feature in meinem Leben freigeschaltet – leider kein wirklich positives, aber was bekommt man auch Gutes, ohne dafür zu bezahlen?
In der Stille wird Freund Tinnitus besonders laut – fast so, als würde er die Abwesenheit anderer Geräusche als Bühne sehen. Leider muss ich dir sagen, lieber Tinnitus: Deine Auftritte sind eintönig. Viel zu statisch und einfallslos bist du mit deinem dumpfen Gebrumme.
Gibt es etwas Positives am Tinnitus? Eingangs vermutete ich ja schon, dass es auch ein Symptom fürs Älterwerden sein kann. Gut, ich bin 46, noch keine 64 – aber taufrisch ist anders. Kann man den Tinnitus nicht in eine Reihe mit Arthrose, Krampfadern und Haarausfall setzen? Doch, das kann man. Am häufigsten tritt der Tinnitus um das 50. Lebensjahr auf. Auch wenn 50 das neue 30 ist, ist man eben keine 20 mehr. Dieser Wahrheit sollte man ins Auge blicken. Und dem kann man sehr wohl etwas Positives abgewinnen: Ich durfte bereits mehr Leben genießen als viele andere Menschen. Positivistisch angehaucht könnte man sagen: Danke, ich darf anfangen, alt zu werden.
Und sonst? Gibt es da noch etwas Gutes? Nun, es hört sich vielleicht ketzerisch an, aber ich denke schon. Mein Tinnitus ist vielleicht weniger schlimm ausgeprägt als bei anderen – das möchte ich nicht bezweifeln. Aber ich glaube, dass mir Freund Tinnitus hilft. Vielleicht gehe ich manchmal zu sehr in den Stress hinein und bekomme das dann durch Brummen und Sausen widergespiegelt. Dann weiß ich: Es ist Zeit für eine Pause. Du solltest mehr auf dich achten. Das wusste ich zwar auch ohne Tinnitus, aber hat es mich interessiert? Gegenfrage: Hätte ich Freund Tinnitus überhaupt kennengelernt?
Tinnitus und meine Beziehung ist noch recht jung. Vielleicht wird aus ihm irgendwann ein ruhigerer Begleiter – oder ich lerne einfach, besser mit ihm zu leben. Sollte sich etwas ändern, halte ich euch auf dem Laufenden. Und was ist mit euch? Wie geht ihr mit unserem gemeinsamen Freund um? Ich freue mich auf eure Geschichten.
info@stefanhensch.de
Als Wolfgang Petersens Film Die unendliche Geschichte 1984 in die Kinos kam, war ich sechs Jahre alt. Den Film sah ich etwa ein Jahr später. Ich bewunderte den Glücksdrachen Fuchur und wollte selbst auf ihm reiten, litt mit beim Tod von Artax im Sumpf der Hoffnungslosigkeit und jubelte, als Phantásien von Bastian Balthasar Bux gerettet wurde. Damals ahnte ich jedoch nicht, dass diese Geschichte für mich noch lange nicht zu Ende war…
Zur Kommunion bekam ich Momo von Michael Ende geschenkt, und ich wusste, dass auch Jim Knopf aus seiner Feder stammte. Das war es dann aber auch – mehr habe ich mich mit Michael Ende damals nicht beschäftigt. Ich las das, was man als Junge eben so las: vor allem Science-Fiction, Fantasy und Horror. Von Stephen King über Wolfgang Hohlbein bis H.P. Lovecraft. Irgendwann habe ich dann selbst begonnen zu schreiben.
Als Autor bleibt man zwangsläufig auch immer Leser. Anders geht es einfach nicht – das Lesen ist Teil der Autoren-DNA. Man sucht stets nach neuem Lesestoff, sei es durch Gespräche mit anderen Leserinnen und Lesern, durch Literatursendungen und Podcasts oder durch das Studium des Feuilletons.
Nachdem ich innerhalb kurzer Zeit gleich dreimal auf Die unendliche Geschichte gestoßen war, beschloss ich, das Buch zu lesen. Es war fast 40 Jahre her, dass ich den Film gesehen hatte, und so konnte das doch keine allzu langweilige Reise werden, oder? Ich lieh mir das Buch in der Stadtbibliothek aus und begann zu lesen.
Was soll ich sagen? Die unendliche Geschichte hat mich sofort gepackt und in ihren Bann gezogen. Schon auf der ersten Seite merkt man: Hier hat man es mit echter Literatur zu tun – nicht nur mit einem Kinder- oder Jugendbuch. Stattdessen findet sich ein Roman, der sich gleichermaßen an Kinder und Erwachsene richtet.
In meinen Augen ist Die unendliche Geschichte ein moderner Klassiker und gehört zu den bedeutendsten Büchern, die in den letzten 50 Jahren in deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Ich sehe förmlich die Fragezeichen aufpoppen: „Aber es ist doch nur ein Fantasyroman?“
Keineswegs! Michael Endes Roman hat zwar ein fantastisches Sujet, erfüllt aber auch andere literarische Kriterien:
Ich bin sicher, dass Michael Ende in naher Zukunft die Würdigung erfahren wird, die ihm gebührt. Leider kann er selbst das nicht mehr erleben, da er längst verstorben ist. Sein Werk jedoch lebt weiter, und er wird auch weiterhin gelesen.
Hast du Die unendliche Geschichte auch gelesen? Welches Werk von Michael Ende ist dir am meisten im Gedächtnis geblieben?
Wenn Videospiele schummeln und digitale Illusionen entzaubert werden
Heute wird es nerdig. Ich bin nicht nur stolzer Besitzer einer Xbox 360 aus dem Jahr 2010, ich spiele sogar damit. Da ich mir nichts aus Onlinegezocke mache, tangiert mich auch das Abschalten der Microsoft-Server nicht.
Der Grund für den Kauf der Xbox 360 bestand aus einem Begriff: Forza. Genauer gesagt Forza 3. Davor fuhr ich leidenschaftlich Gran Turismo, aber das Schadensmodell von Forza hatte meine Neugierde geweckt. Im Gegensatz zur Konkurrenz von Sony kann man sich nämlich bei Forza auch die Autos kaputtfahren.
Die Konsole begleitet mich jetzt schon eine ganze Weile und sogar mein Sohn hat den Spaß an Rennspielen entdeckt. Nachdem meine Xbox 360 Jahre als Staubfänger verbracht hat, fahren wir jetzt gemeinsam Rennen. Das hat mich wieder auf den Geschmack gebracht und ich kann mich so richtig in das alte Spiel hineinsteigern. Dabei sind mir ein paar Ungereimtheiten aufgefallen, die ich früher übersehen habe.
Nach vielen Stunden des Rennfahrens (vor allem in Le Mans) ist mir der scherenschnittartige Charakter der Fahrphysik mehr als deutlich bewusst geworden. Es gibt eine Ideallinie und wer wenige Zentimeter daneben durch eine Kurve fährt, landet oftmals unweigerlich im Kiesbett oder an der Leitplanke. Von wegen alternative Linien und so… Das spart natürlich Rechenleistung, hat aber wenig mit der Realität zu tun. Selbiges gilt für die Bremspunkte. Entweder man trifft sie oder landet bei Variation schnell außerhalb der Strecke. Auch das schafft klare Ergebnisse und entlastet die Spiel-Engine. Doof, aber okay.
Dann gibt es Etwas, das für mich schwerer wiegt. Stellen wir uns erneut die Rennstrecke von Le Mans vor, die in Forza 3 digitalisiert vorliegt. Eine Runde ist fast 14 Kilometer lang, was ja viel digitales Holz ist. Auf dem Asphaltband mit seinen Geraden, Schikanen und normalen Kurven ist nun ein ganzes Starterfeld unterwegs. Das bedeutet, dass die Spiel-Engine permanent wissen muss, wo jedes der einzelnen Rennautos auf der Rennstrecke mit welcher Geschwindigkeit und Richtung unterwegs ist. Das ist ein richtiger Datenwust, der einiges an Rechenleistung benötigt und der die oben genannten Einschränkungen in der Spielmechanik nachvollziehbarer macht.
Kürzlich hatte ich jedoch einen Aha-Moment, der mir noch mehr über das Spiel verraten hat. Auf irgendeiner Strecke verbremste ich mich so richtig und landete voll im Graben. Da es sich um ein Ausdauerrennen (mit vielen Runden) handelte und das Auto keinen Schaden abbekommen hatte, fuhr ich einfach auf die Strecke zurück und nahm die Verfolgung meiner Konkurrenten auf. Mittlerweile war deren Vorsprung auf 20 Sekunden gewachsen, was mir mehr als genug Zeit ließ, um wieder aufzuschließen.
Aber dann wurde es absurd. Sobald ich auf einer Geraden (!) die fiktive Ideallinie verließ, wurde der Abstand auf die (nicht sichtbaren) Gegner größer, obwohl ich mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs war. Steuerte ich auf die virtuelle Ideallinie zurück, holte ich am nächsten Messpunkt wieder auf.
Ich glaube, dass ich hier an die Grenzen des Forza-Algorithmus gestoßen bin. Diese merkwürdige „Hochrechnerei“ über imaginäre Ideallinien (auf gerader Strecke ist jede Linie ideal) sagt mir, dass es eben doch kein virtuelles Modell der Strecke gibt, auf dem faktisch alle Rennautos des Fahrerfeldes unterwegs sind und ein reales Rennen gegeneinander fahren und die in ständig wechselnden Abständen zueinander im Raum existieren. In meinem Kopf ist das eine abstrakte Darstellung, die 1:1 dem Renngeschehen auf einer realen Rennstrecke gleicht. Der Computer tut allerdings nur so, als wäre das der Fall. Genauer gesagt, ist das nur in den Situationen der Fall, wenn sich der Spieler in Sichtweite zu den Gegnern befindet. Ansonsten wechselt das System in ein rein möglichkeitsbasiertes, aus simplen „Wenn – Dann“-Routinen bestehendes Modell: Wenn der Spieler die Ideallinie nicht verlässt, die im System hinterlegt ist, dann kann er aufschließen – weil die computergesteuerten Rennwagen wie auf Schienen immer eine virtuelle Soll-Zeit oder schneller fahren. Wenn der Spieler nicht der Ideallinie folgt, dann fährt er hinterher. Es spielt also keine Rolle, wie schnell die Computergegner wirklich im aktuellen Rennen fahren, sondern wie ihre Fahrt geplant ist. Daraus folgt, dass der Spieler sich entweder innerhalb des vorher definierten Modells befindet oder außerhalb. Ist Letzteres der Fall, vergrößert sich der Abstand wie durch Zauberhand. Es kann eben nicht sein, was laut Programmierern nicht sein darf!
Das hört sich extrem nerdig an und ist es vermutlich auch. Trotzdem ist es für mich so interessant, dass ich einen Artikel darüber schreibe. Vielleicht ist es die gleiche Faszination, mit der andere Zeitgenossen die Illusion eines Zauberkunststücks aufdecken. Denn genau das sind Videospiele eben, nur eben digital. Sie sind digitale Illusionen!
Aber was hat das mit einem „Glitch“ zu tun? Unter Glitch versteht man in der Elektronik eine zeitlich begrenzte Falschaussage in einem logischen System. Auch Filmfehler werden gelegentlich als Glitch bezeichnet. Einem größeren Publikum ist der „Glitch in der Matrix“ im gleichnamigen Filmuniversum ein Begriff geworden: Der Fehler in der Matrix. In Gamer-Kreisen hat sich dieser Begriff ebenso eingebürgert, meist im Sinne eines Fehlers, den der Spieler ausnutzen kann.
Wir befinden uns immer noch in der Forza 3-Fahrsimulation. Im Wettbewerbsmodus gibt es dort den „International S-Cup“ bei dem Supersportwagen gegeneinander antreten. Schon bei den ersten Rennen bemerkte ich, dass der teilnehmende Bugatti Veyron mein größter Widersacher war. Als „Le Mans“ Austragungsort wurde, rechnete ich mir trotzdem Chancen aus – hatte ich doch in letzter Zeit Stunden mit meinem Sohn darauf verbracht – und kannte gefühlt jeden Quadratzentimeter. Sekunden nach dem Rennstart lösten sich meine Hoffnungen auf, denn der Bugatti war in der ersten Kurve viel zu schnell und hängte mich auch auf den folgenden Kurven ab, um auf der Geraden mit weit über 300 Stundenkilometern das Weite zu suchen.
Der Bugatti war mir so überlegen, dass ich ihn unbedingt testen wollte. Was dann passierte, war kurios: Ich konnte den Wagen unmöglich so fahren, dass ich ebenso schnell wie mein Widersacher durch die Kurven kam. Schon gar nicht in der Geschwindigkeit, mit der das der Computer tat. Nach all‘ meinem „Fahrstunden“ in Forza 3 halte ich die Fahrweise des Computers für physikalisch unmöglich. Es geht nicht!
Aufgrund der Beschränkungen des Cups kann der Spieler keine Modifikationen oder Tuning an den Fahrzeugen vornehmen. Und genau hier liegt der Glitch im Pfeffer: Der Computer-Bugatti Veyron hat im Wettbewerb bessere Reifen, als er haben dürfte, und klebt deshalb am Asphalt, während mein (angeblich identischer) Bugatti wie auf Glatteis aus der Kurve rutscht. Für den Computer gelten nicht seine eigenen Beschränkungen!
Im Internet findet man zu diesem Thema Einträge, u.a. bei Reddit. Irgendwo sollen die Programmierer sich mal zu der Sache geäußert haben. Diese (und andere „Glitches“!) existieren, um das Spiel für den Spieler schlichtweg spannend zu halten.
Nun ja…da kann man sicher geteilter Meinung sein. Von einem menschlichen Spieler betrogen zu werden, ist schon wenig erfreulich. Dass es systematisch vom „objektiven“ Computergegner getan wird, fühlt sich für mich ziemlich falsch an!
Ich will ehrlich sein. Diese Erkenntnisse haben mir das Spiel verdorben. Nein, das stimmt nicht… Das Wissen über diese Zusammenhänge hat mir die Illusion einer Rennsimulation verdorben. Die Macher von Forza 3 haben keine Rennsimulation erschaffen, sondern sie simulieren eine Rennsimulation. Mein Sohn hingegen sieht das anders. Für ihn ist dieser Sachverhalt noch nicht ganz so transparent und Videospiele haben für ihn noch etwas mystisch Geheimnisvolles. Außerdem baut er viel zu gerne Hochgeschwindigkeitscrashs mit den computergesteuerten Gegnern und erzeugt damit gelegentlich seinerseits Glitches, wenn sich z.B. ein Rennwagen hinter einer Leitplanke verhakt und es nicht mehr zurück auf die Rennpiste schafft.
Meine Xbox 360 werde ich natürlich nicht einmotten, dafür jedoch mal zur Playstation 3 meines Schwagers wechseln, um dort im Einzelspielermodus Gran Turismo zu spielen. Es gibt ja noch viele Rennen zu fahren!
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Deine Meinung interessiert mich natürlich: info@stefanhensch.de
„Schade, dass er nicht getroffen hat“, „Wenn er tot wäre, hätten wir ein Problem weniger“. „Das hat er doch selbst gestaged.“
Solche und teilweise noch drastischere Aussagen habe ich diese Woche über das Attentat auf Donald Trump gehört. Erinnern wir uns: Der ehemalige amerikanische Präsident wurde kürzlich Opfer eines Attentats, bei dem jemand mit einem Präzisionsgewehr auf ihn schoss und ihn dabei nur am Ohr traf. Animationen tauchten auf, in denen zu sehen ist, dass Trump im letzten Moment den Kopf leicht drehte und somit knapp einem potenziell tödlichen Kopfschuss erlitt. Ebenso erlitt er einen Treffer am Oberkörper, der von seiner schusssicheren Weste aufgefangen wurde. Damit muss man sagen: Es war ein ernster Angriff auf das Leben eines unbewaffneten Menschen und nur der Zufall hat Donald Trump das Leben gerettet.
Auch die Reaktionen der amerikanischen und größtenteils auch der deutschen Meden sprach Bände. So lange wie es ging sprach man von einem „Zwischenfall“ und das Donald Trump die Veranstaltung hätte „verlassen“ müssen. Die Bezeichnungen „Anschlag“ und „Attentat“ fand man so gut wie nirgends. Wäre das auch bei Joe Biden, Olaf Scholz oder Angela Merkel der Fall gewesen? Ich glaube nicht. Und genau da fängt das Problem an!
Donald Trump und seine Politil ist mir völlig egal – genau wie Joe Biden oder jeder andere Politiker. Trump ist für mich ein Mensch, sonst nichts. Ich persönlich glaube an ein „Recht auf Leben“ und ein „Recht auf körperliche Unversehrtheit“. Deshalb hat niemand Hand an jemand anderes zu legen. Ganz einfach!
„Aber es ist doch Donald Trump!“ Und sage ich: Egal, was spielt das für eine Rolle? Niemand ist das legitime Ziel eines Mordanschlags!
Ich halte die oben skizzierte Geisteshaltung für sehr gefährlich, stellt sie doch nichts anderes als eine krasse Entmenschlichung dar und das steht niemandem zu. Federführend für diese toxische Atmosphäre sind meiner Meinung nach die Medien, die Donald Trump in der öffentlichen Wahrnehmung als Mischung aus James Bond-Bösewicht und Zirkusclown aufgebaut haben. Vielleicht braucht auflagenstarker Journalismus primitive Narrative, wie sie der BILD aus den Neunzigern gefallen hätten. Guter Journalismus ist es nicht und er hat auch keine positive Wirkung auf Lieschen Müller und ihre Geschwister.
Absurd ist es, wenn Donald Trump von irgendwelchen Alphajournalisten nicht als Ursache, sondern als Synonym eines verrohten Zeitgeistes bezeichnet wird. Wer ist denn der mächtigste Wegebner dieses Zeitgeistes, wenn nicht die Medien selbst?
Mir ist der amerikanische Wahlkampf völlig egal und demnach spielt es für mich keine Rolle, ob Trump oder Biden gewinnt. War die Präsidentschaft von Donald Trump so schlecht und die von Joe Biden so viel besser? Ich glaube, es ist völlig egal. Für die Medien stellt ein Gewinn von Trump die (erneute) Apokalypse dar, während der von Biden für den ominösen Status Quo steht. Das gilt natürlich nur dann, wenn Biden nicht noch abgesägt wird…
Nein, ich schreibe das aus deutscher Sicht. Mir ist es einfach zuwider, mit Menschen zusammenzuleben, die den Tod eines Menschen gutheißen. Das ist für mich der Ausverkauf sämtlicher Werte, derer wir uns rühmen. Vielleicht ist es auch die Offenbahrung darüber, was wir uns zu glauben vorgespielt haben? Wenn das zutrifft, ist Donald Trump wirklich nur ein Symptom unserer Zeit. In dem Fall sind wir alle Donald Trump. Ich finde diese Vorstellung hässlich und lehne sie ab!
Ja, TikTok sperrt auch reine Textbeiträge und interessiert sich für Kunstfreiheit wie ein fleischfressendes Bakterium für Veganismus. Gut, auf der Plattform sind auch Kinder anwesend – damit kann ich mich arrangieren. Trotzdem ist man bei anderen Beiträgen (sexueller Natur) durchaus toleranter. Merkwürdig!
Was aber ist das für eine Kurzgeschichte, die zu hart oder heiß für TikTok gewesen ist? Nun, hier ist sie:
Die Meisterköchin
Sandra liebte Kondome, besonders benutzte. Am Sonntagnachmittag besuchte sie gerne den Dornheckensee. In den Gebüschen fand sie zahlreiche Gummis, manche mit einem bräunlichen Farbton. Das erste der Häute lutschte sie genießerisch aus, die anderen kamen in die Handtasche. Zuhause entleerte sie die köstliche Flüssigkeit in einen Topf und nutzte sie als Grundlage für die Sauce, die die Gäste ihres Restaurant so sehr liebten.
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Du möchtest dazu etwas sagen? Gerne: info@stefanhensch.de
Auf Substack gehe ich der oben gestellten Frage nach. Der Artikel kann dort kostenfrei gelesen werden und zukünftige Artikel können automatisch durch ein ebenso ummesonst Abo erhalten werden.
Was denkst Du darüber
Heute ist mein 46. Geburtstag. Das fühlt sich für mich so nichtssagend an, wie es sich vermutlich liest. Der 30. Geburtstag war hart, wirklich. Kurz vorher war ich auf einer Party und wurde dort von einer jüngeren Besucherin gefragt, wo denn die Toilette sei. An und für sich kein Problem, wenn sie mich nicht gesietzt hätte. Niemals zuvor hat mich irgendwer im privaten Umfeld gesietzt. Irgendwann ist eben jeder dran.
Früher gab es in der BILD diese Liebe ist… Comicstrips des neuseeländischen Karikaturisten Kim Casali. Ja, ich gehöre zu den Menschen, die jahrelang dieses Blatt konsumiert haben. Meine Oma hat die BILD mitgebracht und ich habe sie (meist auf der Toilette) gelesen. Natürlich hatte ich dabei auch immer meinen Spaß mit dem Seite 1-Mädchen und seinen völlig abstrusen Geschichten. Hach, das war einfach eine andere Zeit. (Ich habe gerade recherchiert, die Comicstrips gibt es immer noch auf der Rückseite der Zeitung, das Seite 1-Mädchen ist leider schon längst Geschichte.) Analog zu den Casali-Strips kann man sagen: Du bist alt, wenn…
Den Anfang in dieser Reihe möchte ich hier anbieten:
Du bist alt, wenn… niemand mehr für Dich im Restaurant bezahlt.
Erinnerst Du dich noch? Einfach von der Speisekarte aussuchen, was immer Du wolltest. Papa, Mama, Opa oder Oma haben dann bezahlt. Das ist irgendwann vorbei. Meist passiert das schleichend, sodass es dich irgendwann wie mit einem Vorschlaghammer erwischt, wenn es Dir wie Schuppen von den Augen fällt. Genauso ist das ja grundsätzlich auch mit Weihnachten, den Geburtstagen und anderen Anlässen, wo andere etwas für dich vorbereiten und dich damit überraschen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem Du dein letztes „unschuldiges“ Weihnachtsgeschenk ausgepackt hast. Danach kannst Du dir dann vielleicht selbst kaufen, was Du willst. Aber das ist nicht mehr das Gleiche, zumindest für mich.
Es ist ein wenig wie mit dem Christkind/Weihnachtsmann. Wenn Du einmal weißt, dass die Geschenke nicht von einem der beiden Gestalten gebracht werden, ist Weihnachten anders. Trotzdem bleibt es irgendwie doch noch magisch. Deshalb ist der Sprung vom letzten „unschuldigen“ Geschenk zum Do-It-Yourself-Geschenk (Gutschein, Geld oder in Auftrag gegebene Geschenke) größer und unangenehmer. Vollends vorbei ist es dann, wenn Du selbst ein Kind hast. Dann bist Du an diesen Tagen nur noch Karl oder Carla Arsch. Aber so ist es eben. Nicht? Dafür darfst Du dir jetzt dein Leben mit einer hirnlosen Arbeit herumschlagen und die Miete zusammenkratzen. Genau so haben wir uns das doch als Kinder ganz bestimmt vorgestellt…
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Das Buch stammt aus 1964 und wurde von Hubert Selby verfasst. In Deutschland wird das Buch als Roman bezeichnet, wobei es aus sechs mehr oder minder miteinander verwobenen Prosastücken besteht.
Hubert Selby lebte von 1928 bis 2004 und wurde in Brooklyn geboren, folglich kann man davon ausgehen, dass er sehr viele eigene Beobachtungen in dem Buch verarbeitet hat. Selby verließ mit 15 Jahren die Schule und ging zur Handelsmarine, wo er sich mit Tuberkulose infizierte. Ihm musste ein Lungenflügel entfernt werden und er kehrte schwerkrank zurürck. Im Laufe seines Lebens wurde er alkohol- und drogenabhängig, was auch zu einem Gefängnisaufenthalt führte.
„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ war Selbys Debüt und war ein großer Erfolg. Das Buch wurde in England verboten, was seiner Verbreitung nicht geschadet hat. 1989 wurde es von Bernd Eichinger verfilmt. Selby schrieb weitere Bücher wie „Mauern“, „Der Dämon“ und „Requiem für einen Traum“. Letzterer Roman wurde 2000 ebenfalls sehr erfolgreich von Darren Aronofsky verfilmt.
Meinen ersten Kontakt mit Hubert Selby war nicht „Letzte Ausfahrt Brooklyn“, sondern das in Deutschland viel weniger bekannte „Der Dämon“, das ich zufällig vor 20 Jahren in einem Bonner Antiquariat besorgte. Der Roman war sehr intensiv, düster und ein Schlag auf die Nase. Genauso verhält es sich mit „Letzte Ausfahrt Brooklyn“, nur noch viel mehr.
Das Buch ist dreckig, düster, brutal und skizziert eine gewalttätige Welt dar, aus der es keinen Ausgang und keine Ausfahrt mehr gibt. Da ist die Prostituierte Tralala, der Gewerkschaftsmann Harry, der Schläger Vinnie, die Homosexuelle Georgette, die Witwe Ada und viele andere. Das sind die Protagonisten, denen wir ein Stück durch ihr Leben in den ärmlichsten Vierteln von Brooklyn in den Fünfzigern folgen. Es sind Menschen, wie Menschen eben sind: Mit Fehlern, tragischen Lebenssituationen und eigentlich alle längst gebrochen.
Die ersten 5 Prosastücke wirken enger miteinander vernetzt, als das letzte. Erzählerisch gibt es dort auch einen Bruch, da Selby dort kürzere Kapitel benutzt und dementsprechend wild hin- und her springt. Hier finden sich dann auch mehr stilistische Experimente, als dies in den anderen Teilen ohnehinschon der Fall ist.
„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ erschien in den Sechzigern und muss damals auch mit seiner Ästhetik ein Schock gewesen sein: Rechtschreibung, Interpunktion und wörtliche Rede erfindet Selby einfach neu und nutzt sie, um Stimmung und radikale Tempowechsel zu vollziehen. Mikroskopische Szenen wechseln sich mit der makroskopischen Darstellung eines Streiks inklusive dessen unterschiedlichen Funktionärsebenen ab. Vergleicht man dieses Buch mit vielen heute erscheinenden Werken, wirkt es aktueller und moderner, während sich heutige Autoren und Verlage viel mehr den Konventionen beugen. Hubert Selby nicht. Er macht, was er will und wie er es will. Und er ist verdammt gut darin.
Eine „Gute-Laune-Buch“ liegt hier jedoch wirklich nicht vor. Selby schildert das Drama der menschlichen Existenz im Allgemeinen und die Situation in Brooklyn so gut, dass ich manchmal wirklich Schwierigkeiten beim Lesen hatte. „Unterhalten“ will der Autor definitiv nicht, aber er packt einen an den Haaren und zwingt zum Nachdenken.
Das sechste und letzte Prosastück war mir zu viel, vielleicht auch zu sehr gewollt. Vielleicht wollte Selby damit den „Brooklyn-Kosmos“ erweitern, noch experimenteller sein oder was auch immer. Beinahe hätte er mich da verloren, was aber schade gewesen wäre – denn auch dieser Teil ist lesenswert und lohnt sich. Hier werden Gedanken und Personen zu Ende gedacht, gerade auch das Schicksal der Kinder wird sehr eindrücklich geschildert.
„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ ist auch 2024 noch ein hervorragendes Buch, das nichts von seiner Relevanz verloren hat. Auch heute ist der Mensch ein Mensch und deshalb ist dieses Buch zeitlos.
Einen Gedanken noch zu Bernd Eichingers Verfilmung von 1989. Es handelt sich um eine herausragende „Romanverfilmung“, die man ebenfalls noch sehr gut sehen kann. Der Film glättet und vereinfacht die Inkongruenzen der Vorlage durch massive Eingriffe (Personen werden ausgetauscht; es passieren Dinge, die so nicht im Buch waren usw.) Die massivste Freiheit nimmt sich der Film im Fall von Tralala und mildert damit die Darstellung von Selby massiv ab. Vielleicht hätte der Film auch nicht anders in die Kinos kommen können. Leider macht das den Film zu einer schlechteren Literaturverfilmung, auch wenn er wesentlich zugänglicher als das Buch ist und gerade deshalb sehr hilfreich für Selby gewesen sein dürfte.
Abschließend muss für den deutschen Leser natürlich noch gesagt werden, dass dieser Roman überall spielen könnte. Das skizzierte Brooklyn ist eher ein Symbol für das, was aus Menschen werden kann. Insofern verhält es sich vielleicht wie mit der „Hölle“ – das ist unserem heutigen Verständnis nach kein realer Ort, sondern ein Seinszustand in uns.