Welche „Es“ Verfilmung ist besser?

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Welche Verfilmung von Stephen Kings „ES“ ist besser?

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, obwohl es sich bei den Fassungen von 2017 und 2019 um Kinofilme mit einem entsprechend größeren Budget handelt. Welche Verfilmung von Es ist aber nun die Bessere?

Als Vertreter der Generation X bin ich natürlich mit der ersten Welle der Stephen King Verfilmungen in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern aufgewachsen, damit natürlich auch mit der ersten Verfilmung von 1990. Damals „musste“ man den Film einfach sehen und er ist definitiv mehr als sehenswert. Tim Curry als böser Clown Pennywise und Jonathan Brandis als Bill Denbrough werden mir wohl immer in Erinnerung bleiben – wer kann es mir verdenken, denn ich war 1990 genau zwölf Jahre alt, und damit natürlich das perfekte Mitglied im „Club der Verlierer“. Aus diesem Grund wird diese Fassung wohl immer ein Stück näher an mir dran sein, als die späteren Verfilmungen. Einschränkend muss ich jedoch hinzufügen, dass ich damals noch nicht die Buchvorlage gelesen habe und meine Wertung sich deshalb eigentlich ausschließlich auf das Funktionieren als mitreißende Mischung aus Coming of Age und Mystery-Film bezieht. Den Roman „Es“ habe ich erst dieses Jahr gelesen und kann erst jetzt etwas über die Detailgetreue der Verfilmung sagen. Das muss der Fairness wegen gesagt werden.

Die Neunziger Fassung von „Es“

Dieser Verfilmung glänzt durch liebevolles Fünfziger-Setting während der Jugendzeit der Protagonisten. Ebenso sind viele wesentliche Charaktere aus dem Buch besetzt und gut getroffen worden. Im Erwachsenenteil dominiert der Zeitgeist die Achtziger, was durch das Produktionsjahr zu erklären ist und deshalb auch völlig authentisch ist. Schulterpolster und Co. sind ein eindeutiges Zeugnis dafür. Tim Curry dominiert „Es“ mit seiner Rolle und es damals kam es  nicht den Sinn, dass diese Wesenheit im Buch noch viele andere Facetten haben könnte. Lediglich beim finalen Kampf könnte man stutzig werden, akzeptiert es aber letztlich, da der Film sehr befriedigend endet und somit kein Raum für überflüssige Fragen lässt.
Derry hingegen wird hier nicht wirklich gut dargestellt. Einziges Aha-Erlebnis bieten die Barrens, wobei der Eindruck entsteht, dass dieser Handlungsort nur wenige Meter neben der Straße liegen würde und eigentlich nur einen Bachlauf umfasst – im Roman ist es eine Mischung aus Flusslauf- und Moorlandschaft. Es ist eben ein Fernsehzweiteiler und für mehr Kulisse war vermutlich einfach kein Geld vorhanden. Das Clubhaus gibt es ebenfalls nicht.
Das größte Manko dieser Fassung stellt für mich aber etwas anderes dar, nämlich die Streichung von allem, was mit dem Ritual von CHÜD und damit auch der Herkunft von Es zu tun hat. Auch das Makroversum wird komplett ausgespart, natürlich auch die mystische Rolle der „Schildkröte“. Am Ende bleibt ein wirklich schöner Zweiteiler, der sich „Verfilmung“ nennen darf, obwohl sogar zentrale Elemente der Vorlage fehlen. Es handelt sich schließlich um ein eintausendfünfhundert Seiten starkes Werk, dass in seiner Gänze wohl nicht umgesetzt werden kann. Der Zweiteiler ist gut gealtert und kann auch heute noch für wohligen Schauer an einem langen Wochenende sorgen.

Die Verfilmungen von 2017 und 2019

Hier traf mich gleich zu Beginn der sprichwörtliche Blitz, denn die Jugendlichen-Handlung wurde ins Jahr 1988 verfrachtet, wohingegen die Erwachsenen-Handlung in unserer Jetzt-Zeit stattfindet. Das gelingt sehr gut, ist leider aber alles andere als originalgetreu. Das Dumme ist nur: Als Relikt der Generation X gefällt mir das natürlich und wahrscheinlich war auch genau das der Grund für den Kniff der Filmemacher: Man wollte die jetzige Zielgruppe nicht mit einem Fünfzigerrevival vergraulen. Auch wenn ich ein Faible für die Achtziger habe, finde ich diese Entscheidung schade, da sie den Geist der Vorlage ausradiert. Dies möchte ich jedoch gleich etwas einschränken, denn auch dieser Verfilmung ist dennoch absolut sehenswert. Bitte nicht abschrecken lassen!

An dieser Stelle möchte ich nicht damit fortfahren, Unterschiede zwischen Buch und Verfilmung detailliert zu beschreiben. Daran gemessen, wären die beiden Kinofilme mittelschwere Katastrophen. Das ist jedoch keinesfalls so, ganz im Gegenteil. Regisseur und Drehbuchautor sind lediglich einen völlig anderen Weg gegangen, als ihre Kollegen in den Neunzigern. Beide Parteien haben sich bis zum Erbrechen mit der Vorlage beschäftigt. Desinteresse oder Arroganz kann und darf man beiden nicht vorwerfen. In der Neuverfilmung entschied man sich sehr oft der Neuinterpretation, anstelle der sklavischen Umsetzung der Buchvorlage. „Adaption“ wäre vielleicht auch ein passendes Wort. Dies betrifft sowohl die Mitglieder des Clubs der Verlierer, die Handlung und auch das Ritual von CHÜD. Lobenswert finde ich, dass hier die mögliche Herkunft des Bösewichts dargestellt wird und der Zuschauer sich selbst noch weitere Gedanken dazu machen kann. Leider bleibt auch bei dieser Verfilmung das Makroversum völlig außen vor.
Die Figuren wurden sehr liebevoll getroffen, entsprechen jetzt natürlich einem anderen Zeitgeist und wurden in vielerlei Hinsicht transformiert. Sei es drum, das wurde gekonnt gemacht und der Wesenskern der Charaktere wurde erhalten. Was ich jedoch sehr schade finde, ist der Verzicht auf die sanfte Führungsrolle von Bill Denbrough. Es mag sein, dass dies auch nicht mehr so zeitgemäß ist, macht jedoch ganz klar die Gruppendynamik des Clubs aus. Glücklicherweise darf man wenigstens einmal sein charakteristisches „Heyho Silver!“ hören, sonst wäre ich jedoch auch wirklich enttäuscht gewesen.
Wirklich fantastisch ist jedoch die Darstellung von Derry mit all´ seiner Morbidität und „desinteressierten“ Erwachsenen. Außerdem dachte ich mir immer wieder: Ja, so habe ich mir das vorgestellt: die Stadt, die Kussbrücke, die Barrens, das Haus in der Neibold-Street. Besser kann man das nicht umsetzen.
Die Stimmung in den neuen Verfilmungen ist definitiv horrorlastiger, als in der Neunzigerfassung und deshalb werkgetreuer. Gegen Ende von Teil 2 wurde es mir jedoch manchmal etwas zu düster, was natürlich Geschmackssache ist. Der größte Kritikpunkt an der Neuverfilmung ist die schiere Sperrigkeit des zweiten Teils. Zwei Stunden und Fünfzig Minuten waren für mich ein gutes Argument, den Film in zwei Teilen zu genießen. Mit etwas Raffinesse hätte man die Umsetzung durchaus kompakter halten. Die Szene auf dem Stadtfest und dem kleinen Jungen im Spiegelkabinett, sowie das Mädchen beim Baseballspiel waren z.B. weder für die Handlung wichtig, noch hätten sie irgendeinen anderen Sinn gemacht. Vielleicht sollten diese beiden Ereignisse den Verlierern verdeutlichen, dass Es tatsächlich weitermacht, ich weiß es nicht…

Fazit

Wenn ich mich auf die bessere Fassung festlegen muss, sind das die Fassungen von 2017 und 2019. Ich will aber betonen, dass die Neunzigerfassung nicht wesentlich schlechter abschneidet und auch heute immer noch ihren Stellenwert hat. Mit etwas Ironie gesegnet, könnte man es so ausdrücken: Wenn Du die beste Fassung sehen willst, dann schaust Du zuerst die Neunziger-Fassung und dann die aus den Zweitausendern. Am Ende hast Du dann rund acht Stunden vor der Glotze gehangen und die hättest Du auch in die Lektüre von Es stecken können… Nein, das ist auch gemein. Die Filme haben mich beide gut unterhalten, jeweils auf ihre ganz eigene Weise. Wer weiß, vielleicht war es Stephen Kings Cameoauftritt in der Neuauflage, der den letzten Ausschlag für meine Meinung gegeben hat.

Nachwort

Die „beste“ Verfilmung ist vermutlich wirklich die aktuellere, jedoch bleiben noch viele Dinge unerzählt. Sind es vielleicht gar zu viele Lücken? Beide Verfilmungen versuchen Zusatzinformationen und Goodies zu verteilen, was ihnen auch gelingt. Aber nehmen wir eine Figur wie Henry Bowers (hier finde ich die aktuellere Version um Längen besser). Das Treiben dieser miesen Type hätte ich gerne noch länger verfolgt, was aus genannten Gründen nicht möglich war. Irgendjemand hat mal gesagt, dass heutige Serien mit ihrer horizontalen Erzählweise einem Roman am nächsten kommen würden. „Es“ ist ein gutes Beispiel dafür: Die zahlreichen Episoden im Konflikt des Verliererclubs mit Henry Bowers und Co., die Auftritte von Es und vieles andere mehr, könnten in einem solchen Format perfekt in Szene gesetzt werden. Im Grunde ist das ja grotesk, denn ich rede hier von einer Serie, nachdem es bereits zwei richtig gute Verfilmungen des Buchs gibt. Dennoch bin ich überzeugt, dass dies durchaus wünschenswert wäre – einfach, weil es diesem Meisterwerk noch gerechter werden könnte. Und ganz am Ende steht mal wieder die Erkenntnis: Ja, ich bin eben ein Buchmensch…

Stephen King und ich

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Stephen King begleitet mich in meinem Leserleben schon sehr lange. Wie viele Bücher ich von ihm bisher gelesen habe, kann ich nicht sagen – es waren jedenfalls eine ganze Menge. Als Autor verändert sich jedoch die Art, wie man liest. Vermutlich kann man das nicht pauschalisieren, ich lese mittlerweile genauer und vermutlich auch intensiver.

„Es“ ist ein Buch, mit dem ich lange nicht „zusammengekommen“ bin. Als Jugendlicher habe ich das Buch gekauft, um es ins Regal zu stellen. Irgendwann habe ich es verliehen und nie zurück bekommen, man kennt das. Vor ein paar Jahren habe ich mir die E-Book-Version gekauft, die aber fehlerhaft konvertiert wurde und in der Mitte des Buches anfing. Seltsam, aber so steht es geschrieben. 2020 habe ich mir die ungekürzte Neuübersetzung zugelegt, um sie einmal mehr ins Regal zu stellen. Dieses Mal habe ich mir das Schlachtschiff von gut 1500 Seiten in meinem Weihnachtsurlaub vorgenommen. Dreihundert Seiten habe ich gelesen, mit Kleinkind im Hintergrund ging einfach nicht mehr. Wo ist das Buch hingekommen? Klar, ins Regal. Dann ist mir David Nathans wunderbare (ungekürzte) Hörbuchfassung in die Hände gefallen und ich habe sie knallhart durchgezogen. Jetzt weiß ich, was mir da die ganze Zeit Zeit entgehen gelassen habe, nur weil ich Respekt vor 1500 Seiten hatte. Das passiert mir definitiv nicht nochmal.

„Es“ hat mich in seinen Bann gezogen, mit Haut und Haaren. Deshalb habe ich mir letzte Woche die Verfilmung von 1990 angesehen und dieses Wochenende die Fassungen von 2017 und 2019. Dazu werde ich aber einen separaten Beitrag verfassen.

Wie ich oben geschrieben habe, verändert sich die Art des Lesens, wenn man Autor ist. Habe ich King vorher vor allem als Unterhaltungsschriftsteller gesehen, halte ich ihn (auch nach „Es“) für einen Schriftsteller, der noch zu Lebzeiten zu den amerikanischen Klassikern gezählt werden könnte. AUs dem Grund werde ich zukünftig im Re-Read gerade seine frühen Werke vorstellen, aber natürlich auch neue Werke.