Wo sind all‘ die Punks hin? Was ist mit Splatterpunk und Cyberpunk?

Standard
Copyright: Stefan Hensch

Wo sind all‘ die Punks hin?

Früher war alles besser. Diese generalisierte Aussage ist unwahr, aber sie triggert so schön. Die eine Gruppe stimmt frenetisch zu, die andere behauptet mit gleicher Vehemenz das Gegenteil.  Beide haben unrecht, denn generalisierte Aussagen sind von Natur selten wahr.

Betrachtet man den Buchmarkt, stellt sich die Lage leider ziemlich eindeutig dar. Bevor der kleine Artikel bereits an dieser Stelle ausatet, möchte ich mich auf den Teil des Literaturbetriebs beziehen, der von den Lesern im Alltag wahrgenommen wird: Beim Einkaufen, im Bahnhofskiosk oder auch im Buchgeschäft – falls sich das Gros der Deutschen sich denn überhaupt noch dorthin verirrt.

Excuse me, es ist 2023. Jawohl, die Welt hat sich weitergedreht und der durchschnittliche Deutsche hat heute viele neue Hobbys. Freizeitbeschäftigungen, die es 1995 noch gar nicht gegeben hat: Onlinegames, Netflix, Smartphonespielereien. Gelesen wird immer noch, aber oftmals nur noch von Hardcore-Lesern. Das gelegentliche Lesen (eines Buches) verschwindet zunehmend. Das aufblühende Homeoffice ohne ÖPNV-Fahrt zur Arbeit macht das begleitende Buch ebenfalls überflüssig. Zuhause gibt es ja schon genug Ablenkung.

Verschlimmernd haben seit den Neunzigern auch eine Verdrängung und kannibalistische Konzentration auf dem Buchmarkt viele Verlage vernichtet. 

Anfang der Neunziger habe ich Clive Barkers „Bücher des Blutes“ in der Buchabteilung des Kaufhofs in der Nachbarstadt Siegburg erworben. Okay, in den Neunzigern gab es auch noch keine Dauerempörten und man war gefühlt deutlich gelassener. Heute gibt es in der betreffenden Kaufhof-Filiale keine richtige Buchabteilung mehr, sondern nur noch ein paar Regale mit den Titeln der Spiegel-Bestseller-Liste. Ironischerweise gibt es das Siegburger Warenhaus selbst auch nur noch bis Januar 2024. Zeiten ändern sich…

Das ich mal die „Bücher des Blutes“ im regulären Buchhandel von einem Publikumsverlag (Knaur) kaufen konnte, ist an und für sich schon kurios. Heute werden Clive Barker  und andere Autoren nur noch von Kleinverlagen wie der Edition Phantasia verlegt und sind dementsprechend praktisch aus dem Präsenzhandel verschwunden. 

Man kann sich jetzt darüber streiten, weshalb das so ist. Mit Sicherheit ist erwähnter Clive Barker kein Liebling des Massengeschmacks. Oft genug schreibt er hart am Limit und überlastet viele Leser, wenn er im Splatterpunk ankommt. Gleichzeitig ist Clive Barker aber ein sehr guter Schriftsteller, der mühelos einen Sebastian Fitzek weit in den Schatten stellt. Fitzek ist einer der Stars auf den deutschen Buchmessen und macht mit „gewaltpotnographischen“ Thrillern (Dennis Scheck) gutes Geld. Es gibt also durchaus Kunden für Geschichten mit härterer Gangart, daran kann es also auch nicht liegen.

Liegt es am Genre, also im weitesten Sinne dem Splatterpunk? Anders als bei Fitzeks Thrillern geht es beim Splatterpunk genauso wie beim Cyperpunk um Rebellion und Revolte gegen Autoritäten und das Establishment. William Gibson, Bruce Sterling und Neal Stephenson finden sich als Vertreter des Cyberpunks jedoch (noch) bei großen Verlagen und dementsprechend in den Regalen der Buchhandlungen. Vielleicht hat das mit dem grassierenden Hype der Dystopien zu tun, vielleicht weil die Rebellion im Cyberpunk naturgemäß in der Zukunft und etwas weniger brachial stattfindet.

Andererseits muss auch gesagt werden, dass junge Cyperpunk-Autoren (oder gar deutsche Vertreter) auf der großen Verlagsbühne absolut keine Rolle spielen – im Gegensatz zu Vertretern des Thriller-Genres. Und wenn wir gerade dabei sind, sollten wir das auch auf andere Punks ausweiten, also Autoren von Steam- und Nanopunk zum Beispiel. Anders sieht das gefühlt bei Vertretern des Solarpunks und Hopepunks aus, die Formen des Optimus als Mittel der Wahl ausgewählt haben und sich dezidiert auf Ökonomie und Nachhaltigkeit beziehen. Zumindest finden diese Punks in den Medien ein Nachhall, was sich in entsprechenden Veröffentlichungen bei größeren Verlagen niederschlagen könnte. Aber sind das überhaupt richtige Punks? Lassen wir das an dieser Stelle…

Wo sind all‘ die Punks hin?

Widerstand, Revolte und der Schrei nach Veränderungen sind für das Establishment schon immer vor allem unangenehm gewesen. In der Science Fiction gestattet man Autoren mehr oder minder getarnte Versuche des Aufmuckens. Die Revolution findet dort ja auch niemals heute, sondern immer morgen statt. Faktisch also nie. Gegenwartsliteratur ist da schon unangenehmer, zumal anständiger Splatterpunk unter die Gürtellinie geht. 

Und da sind wir meiner Meinung nach auch am Knackpunkt angekommen: Splatterpunk ist Gewalt, Sex und es ist in jeder anderen nur erdenklichen Hinsicht dreckig. Damit steht es dem Zeitgeist diametral entgegen: Der ist positiv optimistisch, clean und immer auch gedanklich keimfrei. Hier schließt dann auch eine mögliche Erklärung für den potenziellen Erfolg von Solarpunk und seinem Vetter Hopepunk an: Sie schwimmen mitten im Zeitgeist mit. Außerdem geht es in ihrer DNS mehr um Hoffnung als um Wut. 

Warum ist diese Unterscheidung wichtig? Verlage verwenden immer öfter Sensivity Readings, um Probleme mit Minderheiten aus dem Weg zu gehen. Ebenso wird viel über Triggerwarnungen und Content Notes diskutiert. In ein solches Schemata passt das Genre Splatterpunk (oder jeder ernsthafte Punk) einfach nicht hinein. Im Gegenteil, es wirkt ja fast schon subversiv und wie eine Einladung für einen Shitstorm.

Am Ende muss man sagen, dass die literarischen Punks nicht weg sind. Es gibt sie noch, aber man findet sie kaum mehr zufällig in irgendeiner Buchhandlung. Der aktuelle Zeitgeist ist einfach völlig anders und hindert Verlage, mutiger zu sein. Wer also Lust auf düstere Rebellion hat, kann bei Kleinverlagen fündig werden. Wenn sich das weiter herumspricht, können aus kleinen Verlagen auch mal größere werden!

Ihnen hat der Artikel gefallen? Sie haben Fragen, oder sehen das völlig anders? Schreiben Sie mir: info(at)stefanhensch.de

Ein neuer Professor Zamorra mit meiner Beteiligung: Katakomben des Schreckens

Standard

Auch beim aktuellen Band 1275 habe ich mich beteiligen dürfen. Es handelt sich um ein kleines Special, an dem weiterhin meine Autorenkollegen Manfred Weiland, Christian Schwarz und Thilo Schwichtenberg beteiligt sind.

Copyright: Bastei Verlag

Es geht thematisch um die geheimnisvollen Katakomben unter dem Château. Meine Geschichte trägt den Titel „Duell mit dem Würfeldämon“ und ich habe darin mit psychologischen Horror experimentiert.

Als Heft ist das gute Stück im Bahnhofsbuchhandel erhältlich, die E-Books gibt es bei allen Dealern.

Ästhetik der Stumpfheit: The Shards 

Standard

von Bret Easton Ellis

13 Jahre hat es gedauert, bis ein neuer Roman von Bret Easton Ellis erschienen ist. Er trägt den Titel „The Shards“ (Die Scherben), hat einen Umfang von 736 Seiten und ist beim Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen.

Es geht um die Erlebnisse einer Schülergruppe um den Siebzehnjährigen Bret Ellis im Los Angeles des Jahres 1981 und das Auftauchen eines Serienmörders. Soweit so gut, das sind alles Ingredienzen die man von Bret Easton Ellis kennt UND schätzt. Haben wir es also mit einem weiteren Meisterwerk zu tun?

Erzähler ist „Bret Ellis“, der jedoch nicht mit Bret Easton Ellis identisch ist, aber sicher einiges gemeinsam hat.  Man merkt also, Autofiktion gehört auch zu The Shards.

Das Buch ist ein absoluter Pageturner, der das Sujet der frühen Achtziger und ihrer Popkultur hervorragend einfängt. Langweilig war die Lektüre nie, jedoch gibt es auch Kritikpunkte. Im Gegensatz zu Ellis‘ bisherigen Werken ist das Buch geradezu verschwenderisch umfangreich. Für mich als absoluten Fan des Autors ist das jedoch alles andere als negativ. Wenn man anstelle einer 0,75 Liter Flasche seines Lieblingsweins auch eine 1,5 Liter Pulle haben kann – warum nicht? 

Einschränkend darf nicht unerwähnt bleiben, dass The Shards niemals als Debütwerk in seiner jetzigen Form erschienen wäre. Muß es auch nicht, Ellis ist ja Bestsellerautor. Trotzdem wurde hier eine Chance verschenkt – das Buch hätte mit massiven Kürzungen zu einem Meisterwerk wie Unter Null oder American Psycho werden können. The Shards ufert einfach aus und verliert zu oft seinen roten Faden. Dreihundert Seiten weniger wären „mehr“ gewesen. So bleibt The Shards wahlweise ein „gutes Buch“ und „sehr gutes Buch“. Warum ich zwei Wertungen gebe?

Wer Unter Null kennt, muss The Shards  einfach lieben, dient es doch als Schlüsselroman und Interpretationshilfe für Clay, den Protagonisten von Unter Null. Wie wurde er so abgestumpft und was soll sein Nihilismus? Für Leser von Unter Null verdient das Buch definitiv ein sehr gut. Für alle anderen bleibt es ein zweifellos gutes Buch, mehr aber nicht.

Es wird gefickt, masturbiert, geblasen, Blut und Sperma spritzen literweise. Die Szenen fügen sich organisch in die Handlung und wirken keinesfalls sensationslüstern.

Von der Handlung verrate ich nichts weiter, denn das sollte man selbst erlesen. Stilistisch hat sich Ellis weiterentwickelt, er bleibt sich jedoch stets treu. Mir persönlich ist der Stil fast schon zu verschnörkelt, deshalb gefällt mir Unter Null immer noch besser.

Am Ende bleibt eigentlich nur eine Frage: Lese ich als nächstes Unter Null, oder American Psycho? Oder besser nochmal beides?

Die Meldung

Standard


Die Meldung
von
Stefan Hensch

Dennis hatte lange überlegt, ob er die Polizei wirklich anrufen sollte. Letztlich hatte er es getan, weil er sich irgendwie verantwortlich gefühlt hatte. Die nackte Frauenleiche ließ sich nicht wegdiskutieren. Sie lag auf dem Rücken und starrte aus aufgerissenen Augen zum Himmel.
Es dauerte eine Stunde, bis der Polizeiwagen gekommen war. Jetzt saß der Polizist im Wohnzimmer auf dem Sofa, die Schirmmütze lag auf dem Wohnzimmertisch vor ihm. Er hatte sich nicht vorgestellt und verhielt sich auch ansonsten sehr distanziert. Dennis glaubte, dass sie sich unverzüglich um die Leiche kümmern würden, dem war jedoch nicht so. Vielleicht wollte der Beamte erst ein paar grundsätzliche Informationen einholen?
„Sie haben die Meldung gemacht, Herr Bürger?“
Dennis nickte und spürte den Blick seines Gegenübers auf sich ruhen, kalt und berechnend.
„Also gut. Fangen Sie bitte ganz von vorne an. Was genau ist passiert?“
„Es begann heute Mittag“, sagte er.
„Haben Sie keine Arbeit, oder weshalb waren Sie zu Hause?“
„Homeoffice. Ich bin Ingenieur bei Neumann und Rath.“
Uninteressiert notierte sich der Beamte etwas. „Weiter.“
„Gegen 12:00 Uhr betraten fünf Männer und eine Frau den Rasen hinter dem Haus. Sie hatten jede Menge Kram dabei.“
„Kram?“
„Handtücher, Bier, eine Boombox und eine Kamera.“
Schweigend schrieb der Polizist weiter und sah dann Dennis an. „Ist Ihnen etwas aufgefallen?“
„Die Frau wirkte unsicher, bewegte sich nur langsam. Offensichtlich ging es den Männern zu langsam, deshalb wurde sie von den Männern geschubst.“
Der Beamte nickte. „Hat sie die Lautstärke gestört?“
Dennis wusste nicht recht darauf zu antworten. „Etwas“, sagte er. „Ich wollte mich auf meine Arbeit konzentrieren.“
„Ah ja“, machte der Polizist und notierte wieder etwas. „Was passierte dann?“
„Ich habe Kopfhörer aufgesetzt, um meine Aufgaben erledigen zu können. Als ich mir etwas zu trinken holen wollte, habe ich nochmal raus gesehen. Die Männer nahmen der Frau die Kleidung weg und sie wehrte sich dagegen.“
Der Polizist runzelte die Stirn. „Sind sie sich ganz sicher? Es könnte doch auch ein harmloses Rollenspiel gewesen sein?“
Dennis schluckte. „Die Frau wurde von mindestens einem Mann geschlagen.“
„Das muss ja nichts zu bedeuten haben, vielleicht war das Teil des Spiels.“
„Für mich sah es nichts so aus.“
Der Uniformierte machte mit seiner Linken eine Geste, die vermutlich einen Schlussstrich darstellen sollte. „Das ist pure Spekulation, sonst nichts. Sie sollten bei den Tatsachen bleiben.“
Ihm wurde warm und er fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. Das Herz pochte.
„Erzählen Sie weiter, Herr Bürger.“
„Nachdem die Frau nackt war, zogen sich auch die Typen aus und tranken Bier. Einer von ihnen ging zu der Frau und zwang sie, sich auf ein Handtuch zu legen.“
„Können Sie beschwören, dass die Frau wirklich unter Zwang gehandelt hat? Hören Sie mit den Unterstellungen auf, Herr Bürger. Sie dürfen nicht immer ihre eigenen Moralvorstellungen auf andere Menschen übertragen. Sie sind nicht das Maß aller Dinge.“
Dies war der Punkt, an dem Dennis die Richtung des Gesprächs nicht mehr gefiel. Oder war er wirklich zu voreingenommen? Ohne dass er es wollte, wanderten seine Gedanken zur Leiche der Frau, die auf dem Rasen lag.
„Was haben Sie als nächstes gesehen?“
Er atmete scharf ein und sortierte seine Gedanken. „Nun ja, der Mann hatte Sex mit der Frau.“
„Hat Ihnen das gefallen?“, fragte der Polizist lauernd.
„Nein. Es sah nicht so aus, als würde es einvernehmlich geschehen.“
Der Beamte nickte. „Es sah nicht so aus, Sie sagen es. Was haben währenddessen die anderen Männer getan?“
„Einer filmte den Akt, während die anderen weiter Bier tranken. Einer vollzog bei einem anderen Oralsex, die anderen beiden spielten an ihren Schwänzen herum. Nachdem der Erste fertig war, machten die anderen mit der Frau weiter. Einer nach dem anderen.“
Der Kugelschreiber kratzte weitere Worte auf den Notizblock, dann hob sich der Blick des Polizisten. „Haben Sie Probleme mit alternativen Beziehungsmodellen und sexuellen Orientierungen? Die monogame rein heterosexuelle Beziehung ist nur eine Form von vielen Modellen.“
„Mir ist egal, wer wie und mit wem lebt. Zumindest, wenn alles einvernehmlich geschieht und auch nicht in der Öffentlichkeit.“
„Sie sind ein Gefangener Ihrer Scheuklappen, Herr Bürger. Woher wollen Sie denn wissen, dass es nicht einvernehmlich war? Sind Sie vielleicht auch Psychologe oder Verhaltensforscher? Außerdem fand dieses Treffen doch nicht in der Öffentlichkeit statt, sondern auf einem Privatgrundstück.“
„Und ich habe es gesehen.“
Für einen Moment trat Stille ein und nur das Ticken der Wohnzimmeruhr war zu hören.
„Hat es Ihnen insgeheim gefallen, was sie beobachtet haben? Wären Sie gerne aktiver Teilnehmer gewesen?“
Dennis spürte, wie seine Wangen erröteten. „Da draußen liegt die Leiche einer jungen Frau, die Opfer einer mehrfachen Vergewaltigung wurde und Sie mutmaßen in aller Seelenruhe über mich?“
Klickend betätigte der Polizist seinen Kugelschreiber. „Hören Sie endlich mit diesen unhaltbaren Spekulationen auf. Wissen Sie eigentlich, dass falsche Zeugenaussagen strafbar sind? Erzählen Sie weiter, aber bleiben Sie bei dem, was Sie gesehen haben.“
Es war ein Fehler gewesen. Dennis hätte niemals die Polizei verständigen dürfen. Er hatte schon so Einiges gehört, wie Polizisten heutzutage arbeiteten. Dieser Ordnungshüter verhielt sich völlig absurd. „Als die Typen mit der Frau fertig waren, hatte plötzlich einer von ihnen ein Messer in der Hand. Er hielt ihren Kopf an den Haaren fest und schnitt ihr die Kehle durch, während mindestens einer alles filmte. Sie johlten und applaudierten dazu.“
Die Augen des Uniformierten verengten sich zu Schlitzen. „Haben Sie etwas davon, wenn sie anderen Bürgern einen Mord andichten? Sie wissen doch gar nicht, was wirklich passiert ist. Vom Fenster aus glauben Sie etwas gesehen zu haben. Ist das auch wirklich passiert, oder interpretieren Sie es vielleicht sogar absichtlich falsch?“ Er starrte auf den Fußboden. „Kannten Sie jemanden der Beteiligten und haben sie mit dieser Person noch eine Rechnung offen?“
Dennis´ Gesicht verhärtete sich und er presste seine Kiefer zusammen. Kein Wort verließ seine Lippen, das hätte alles nur noch schlimmer machen können. Anstelle dessen beobachtete er, wie der Uniformierte ein Tablet hervorzog und es einschaltete.
„Sie sind nicht verheiratet“, stellte der Polizist fest. Offensichtlich hatte er Dennis´ Akte vor Augen. „Leben Sie in einer Beziehung?“
Dennis schüttelte den Kopf.
„Wie lange schon?“
„Zwei Jahre.“
Der Beamte sah ihn unvermittelt an. „Ich denke, Sie sind sexuell frustriert und das beeinflusst ihre Wahrnehmung.“
„Jetzt hören Sie mir mal zu“, explodierte Dennis. „Ich habe beobachtet, wie eine Männergruppe eine junge Frau vergewaltigt und dann ermordet hat. Das alles haben sie vor laufender Kamera getan. Anstelle nach den Tätern zu fahnden, unterstellen Sie mir sexuelle Frustration. Was stimmt eigentlich nicht mit Ihnen?“
Der Polizist stand abrupt auf. „Der Einzige mit dem hier etwas nicht stimmt, sind Sie selbst. Ihre Phantasie ist völlig mit ihnen durchgegangen und sie glauben etwas gesehen zu haben, was aber nicht passiert ist. Es war ein bedauerlicher Unfall, Herr Bürger. Ich bin mir vollkommen sicher. Stellen Sie sich nur einen Moment vor, wie unsere Kriminalitätsrate aussähe, wenn wir jeden Unfall als Verbrechen aufnehmen würden.“ Die Augen des Beamten irrlichterten. „Da es sich um eine polyamouröse Beziehung zwischen fünf Männern und einer Frau handelt, scheint sie irgendetwas daran zu triggern. Vermutlich sind Sie latent homophob.“
Dennis erhob sich reflexartig. „Sie gehen jetzt besser.“
Ganz langsam setzte der Polizist seine Uniformmütze auf. „Und Sie werden mich begleiten, Herr Bürger.“
„Was soll das heißen?“
„Laut des neu eingeführten Gesetzes zur Verbrechensprophylaxe werde ich sie jetzt in eine psychiatrische Einrichtung bringen. Dort werden Sie sich einer intensiven Therapie unterziehen, bevor Sie selbst eines Tages zum Täter werden. Packen Sie das Nötigste zusammen, wir fahren gleich los.“
Wie ein Roboter ging Dennis ins Schlafzimmer und stopfte wahllos Kleidung in eine Reisetasche. Als er am Fenster vorbeikam, sah er hinaus. Die nackte Leiche lag immer noch auf dem Gras. Gerade landete eine Krähe und hüpfte interessiert in Richtung des Gesichts der Toten.

ENDE


_________________________________________________________________________________________________________


Du möchtest künftig keine Kurzgeschichte mehr verpassen? Dann schick mir doch eine E-Mail an: newsletter@stefanhensch.de und ich trage dich kostenlos in den Verteiler meines Newsletters ein. Info: Nach der E-Mail erhältst Du eine Bestätigung. Auf diesen Weise stelle ich sicher, dass niemand gegen seinen Willen in den Verteiler eingetragen wird. Eine Kündigung kann jederzeit durch eine E-Mail mit dem Betreff „Kündigung Newsletter“ an die o.g. Adresse erfolgen und deine E-Mailadresse wird umgehend gelöscht.

Der nächste Meilenstein als Autor: Ich werde übersetzt!

Standard

Als Autor habe ich mich immer von einem Ziel zum nächsten gehangelt: Einmal eine Kurzgeschichte zu schreiben, die erste Veröffentlichung in einer Anthologie, das erste Mal ein Honorar für einen Text bekommen, die erste Rezension über eine eigene Geschichte lesen, in der ersten Serie mitschreiben, der erste veröffentliche Heftroman… Jetzt darf ich dieser Liste etwas hinzufügen, denn einer meiner Romane wird ins Englische übersetzt!

Es handelt sich dabei um meinen ersten Beitrag zur Heftromanserie MADDRAX von Bastei Lübbe, der mit einigen anderen Bänden in einem Sammelband veröffentlicht wird. Das ist ein ganz tolles Gefühl, dennoch ist natürlich auch Bescheidenheit angesagt: Die Serie MADDRAX ist der Star, nicht ich.

Als zusätzliches Gimmick gibt es noch ein Cover des Künstlers Nestor Taylor, das sich auf eine Szene in meinem Roman bezieht. Autorenherz, was willst Du mehr?

Hier gehts zum englischen Sammelband!

——————————————————————————————————————–

Sie möchten künftig keinen Artikel mehr verpassen? Dann schicken Sie mir doch eine E-Mail an: newsletter@stefanhensch.de und ich trage Sie kostenlos in den Verteiler meines Newsletters ein. Info: Nach der E-Mail erhalten Sie eine Bestätigung. Auf diesen Weise stelle ich sicher, dass niemand gegen seinen Willen in den Verteiler eingetragen wird. Eine Kündigung kann jederzeit durch eine E-Mail mit dem Betreff „Kündigung Newsletter“ an die o.g. Adresse erfolgen und Ihre E-Mailadresse wird umgehend gelöscht.

Ich und Lew Tolstoi: Anna Karenina

Standard

Ja, ich lese Klassiker. Als Autor sollte man seine Tradition kennen, deshalb folge ich auch „Literatur ist Alles“ dem YouTube-Kanal von Markus Gasser. Wenn man das tut, kommt man zwangsläufig auch nicht um Charles Dickens, Vladmir Nabokov und eben Lew Tolstoi vorbei. Aber auch anderswo gilt: Anna Karenina sei ein Beispiel für einen perfekten Roman. Aus dem Grund habe ich mir das Epos mit fast 1300 Seiten vorgenommen.

Copyright: DTV-Verlag



Für meine Lektüre habe ich die Übersetzung von Rosemarie Tietze des DTV-Verlags aus dem Jahr 2011 gewählt. In dieser Rezension werde ich mich inhaltlich zurückhalten, da die Geschichte um Anna Karenina, ihren Ehemann und Wronski wohl hinlänglich bekannt und im Internet verfügbar ist. Anstelle dessen möchte ich darüber sprechen, wie ich die Lektüre empfunden habe.

Anna Karenina ist ein Klassiker, ein Meisterwerk und nicht zuletzt einfach ein gutes Buch. Trotzdem kommt dieses Buch nicht auf die Liste meiner zehn Lieblingsbücher und ich werde es auch definitiv kein zweites Mal lesen. Das hört sich nach einem Widerspruch an? Vielleicht trifft das zu, vielleicht auch nicht. Grundsätzlich gibt es für mich keinen Widerspruch. Persönlicher Geschmack sollte (und darf) nicht das qualitative Urteil über einen Roman beeinflussen.

In der Tat war es so, dass ich das Buch während der Lektüre regelrecht als Last empfunden und am liebsten in den Müll geschmissen hätte. Das lag jedoch ausschließlich an meiner Erwartungshaltung und an meinem Geschmack. Lew Tolstoi hat einen epochalen Gesellschaftsroman des zaristischen Russlands erschaffen, der äußerst opulent und kunstvoll geschrieben ist. Weder Tolstoi, noch das Buch kann etwas dazu, dass ich große Teile davon geradezu einschläfernd langweilig empfunden habe. Exemplarisch seien hier die seitenlangen Exkurse über den russischen Landarbeiter und die Landwirtschaft an sich genannt.

In großen Teilen stimme ich Roger Wilhelmsen Meinung, die er einst über Anna Karenina als Protagonisten formuliert hat. Tolstoi kann seine Anna nicht gemocht, oder gar geliebt haben. Zwischen seiner Beschreibung ihrer Person und ihres Charakters klafft eine Art Lücke, die bei anderen seiner Figuren nicht existiert. Immer wieder wird Tolstois Fähigkeit für gekonnte Charakterisierungen gelobt und das ist mir etwas schleierhaft. Was Tolstoi definitiv wie keinem anderen gelingt, ist die Darstellung der inneren Zerrissenheit seiner Charaktere: Anna wird zwischen Familie und Liebe aufgerieben, Wronski zwischen dem Leben als Vater und Karriere, Karenin zwischen Religion und wahrer Liebe, Lewin zwischen Nihilismus, Glaube und Progressivismus usw. usw. Diese Darstellungen finde ich hervorragend, leider führt das aber nicht zu dem Gefühl von Nähe zu den Figuren. Dies habe ich bei Dostojewski und Tschechow besser entdecken können.
Andererseits irrt Wilhelmsen natürlich in ein paar anderen Punkten, denn Anna stirbt nicht „ein paar hundert Seiten“ vorm Schluss und muss die Hauptfigur des Buches sein, da sie die Bindestelle für die anderen Schicksale der übrigen Protagonisten ist.  

Andere Kritiker behaupten, dass gerade der Schluss von Anna Karenina äußerst schwach sei und eher Tolstois Hang zu journalistischen Texten entspräche. Gerade dieser Schluss ist es, der das Buch für mich zu einem sehr guten Abschluss gebracht hat, indem gerade das Spannungsfeld um Lewin aufgelöst werden konnte. Das war für meinen Geschmack definitiv nötig und trägt letztlich zum hohen Ansehen des Buches und Tolstoi als Erzähler bei.

Mir ist hingegen ein formaler Punkt aufgesto0en. Beim Lesen habe ich mir an einer Stelle einfach mal den Spaß gemacht und auf einer Seite die permanenten Wiederholungen der immer gleichen Namen markiert. Russische Namen sind ja von Natur aus nicht kurz und bestehen meistens aus drei Bestandteilen. Werden diese Benennungen andauernd wiederholt, hat dies etwas von einer Gebetsmühle. Einerseits gestaltet sich das Lesen durch diese Praxis extrem zäh, andererseits könnte der massive Umfang des Buches drastisch durch eine maßvolle Überarbeitung verringert werden.  Ja, damit gingt vielleicht etwas an Authentizität verloren, im Gegenzug würden Zugänglichkeit und Lesbarkeit gesteigert. Wie gesagt, das ist ein formaler Kritikpunkt, der für mich aber wirklich groteske Züge trägt.

Als Autor habe ich jedoch von der Lektüre profitiert, wenn ich auch niemals ein Buch wie Anna Karenina schreiben werde. Die Passagen über den Maler in der russischen Kolonie in Russland, Lewins Sinnfindung, die Interaktion der Charaktere und wie ein Roman authentisch aus der Sicht vieler unterschiedlicher Charaktere erzählt werden kann, sind für mich absolut meisterhaft.

Eine kleine Anekdote habe ich noch zum Schluss, auch wenn sie mit dem Buch an und für sich nichts zu tun hat. Sie bezieht sich auf die Verfilmung von Anna Karenina mit Keira Knightley in der Titelrolle, von 2012. Beim Zappen sah ich zufällig einen Ausschnitt und blieb hängen, bis ich Aaron Taylor-Johnson als Wronski sah. Keira Knightley ist zweifellos eine attraktive Frau, aber eine absolute Fehlbesetzung. Wronski hingegen verkommt zu einem teenageresken Schnäuzchenträger und entbehrt dabei auch nicht einer absurden Komik. Dass dieses Jüngelchen für eine Frau wie Anna Karenina der Grund für ihren totalen Schiffbruch gewesen sein könnte, ist schlicht irrwitzig. Hier wird vielleicht erneut die wahre Größe dieses Meisterwerks ersichtlich, denn die Figuren haben sich in mein Bewusstsein eingebrannt.

So viel zum Thema Anna Karenina!

——————————————————————————————————————–

Sie möchten künftig keinen Artikel mehr verpassen? Dann schicken Sie mir doch eine E-Mail an: newsletter@stefanhensch.de und ich trage Sie kostenlos in den Verteiler meines Newsletters ein. Info: Nach der E-Mail erhalten Sie eine Bestätigung. Auf diesen Weise stelle ich sicher, dass niemand gegen seinen Willen in den Verteiler eingetragen wird. Eine Kündigung kann jederzeit durch eine E-Mail mit dem Betreff „Kündigung Newsletter“ an die o.g. Adresse erfolgen und Ihre E-Mailadresse wird umgehend gelöscht.


Unsichtbar durch die Dunkelheit: Fahrradfahrer ohne Licht

Standard

Die dunkle Jahreszeit ist da. Lange Abende, heiße Getränke und bald auch die Weihnachtszeit. Alles sehr schön, jedoch birgt die Dunkelheit auch Risiken. Im Bewusstsein der Menschen sind diese leider kaum präsent.


Heute Morgen ist es mir wieder aufgefallen, wie viele Fahrradfahrer unterwegs sind. Das ist nicht nur in Zeiten steigender Spritpreise löblich, nein die Umwelt freut sich immer. Es gibt jedoch eine weitere Instanz, die sich unter bestimmten Vorzeichen ebenfalls die Hände reibt und das ist die Rentenkasse. Genau genommen freut sich diese Stelle besonders über Radfahrer, die ohne Licht unterwegs sind und die deshalb ein deutlich größeres Risiko für schwere Unfälle mit Todesfolge haben: Ein Beitragsempfänger weniger, das freut die Bilanz!


Wer im Dunklen ohne eingeschaltetes Licht mit dem Rad unterwegs ist, hat Anspruch auf den Darwin-Award, nämlich für die intellektuelle Glanzleistung, sich ohne zwingenden Grund in akute Lebensgefahr zu bringen.


Die Dunkelfahrer fallen mir vielleicht auch deshalb momentan besser auf, da viele Elektroroller unterwegs sind, die allesamt mit automatischer Beleuchtung ausgestattet sind. Weshalb aber so viele Radfahrer ohne Licht unterwegs sind, ist mir völlig schleierhaft. Früher mag das schwergängigere Treten wegen des Dynamos ein Grund gewesen sein, bei modernen Nabendynamos zieht das jedoch nicht mehr. Am ehesten ist es vielleicht so, dass für viele die Fahrradbeleuchtung völlig optional ist: Zu funzelig, um wirklich mehr zu sehen vermeintlich unnötig, da die Straßen gut ausgeleuchtet werden. Dummerweise bedeutet das nicht, dass man selbst von anderen Verkehrsteilnehmern gesehen wird.

Natürlich kann das jeder auch mal etwas vergessen, auch das Einschalten des Fahrradlichts. Weiterhin haben viele Fahrräder auch werksmäßig weder Dynamos, Reflektoren und eben auch keine Lampen. Aufmerksame Zeitgenossen kompensieren das mit batteriebetriebenen Lampen, die leider auch mal leer sein können.

Am Ende ist es vermutlich auch so, dass es vielen Radfahrern einfach egal ist. Wie auch immer, es muss ein Umdenken stattfinden. Vielleicht wäre die Einführung von Blackboxen sinnvoll, die das Einschalten des Lichts protokollieren. Kommt es mit ausgeschaltetem Licht zu einem Unfall, trägt der Radfahrer automatisch eine Mitschuld. Das finden Sie lächerlich? Ich auch, der Grund für dieses (nicht durchführbare) Gedankenspiel ist jedoch noch lächerlicher.

Denkt man diese Thematik zu Ende, geht es um Verantwortung. Unser Verhalten führt zu Konsequenzen. Wer für andere Verkehrsteilnehmer unsichtbar ist, ist bei einem Unfall kein Opfer, sondern zumindest Mitverursacher.

Mir geht es jedoch nicht um Schuld, sondern um die Vermeidung schwerer Unfälle. Eine fiktive Blackbox würde nicht verhindern, dass Fahrradfahrer in dunkler Kleidung und ohne Helm unterwegs sind. Auch diese Nachlässigkeiten führen am Ende zu Unfällen mit drastischen Verletzungen wie Schädelhirntraumen, die lebenslange Beeinträchtigungen mit sich bringen können.

Deshalb: Viel Spaß beim Radfahren, bitte mit Licht und Helm. Nicht für irgendwen, sondern nur um selbst gesund am Ziel anzukommen. Gar kein schlechter Deal, oder?