Der Bugatti-Glitch

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Wenn Videospiele schummeln und digitale Illusionen entzaubert werden

Heute wird es nerdig. Ich bin nicht nur stolzer Besitzer einer Xbox 360 aus dem Jahr 2010, ich spiele sogar damit. Da ich mir nichts aus Onlinegezocke mache, tangiert mich auch das Abschalten der Microsoft-Server nicht.

Der Grund für den Kauf der Xbox 360 bestand aus einem Begriff: Forza. Genauer gesagt Forza 3. Davor fuhr ich leidenschaftlich Gran Turismo, aber das Schadensmodell von Forza hatte meine Neugierde geweckt. Im Gegensatz zur Konkurrenz von Sony kann man sich nämlich bei Forza auch die Autos kaputtfahren. 

Die Konsole begleitet mich jetzt schon eine ganze Weile und sogar mein Sohn hat den Spaß an Rennspielen entdeckt. Nachdem meine Xbox 360 Jahre als Staubfänger verbracht hat, fahren wir jetzt gemeinsam Rennen. Das hat mich wieder auf den Geschmack gebracht und ich kann mich so richtig in das alte Spiel hineinsteigern. Dabei sind mir ein paar Ungereimtheiten aufgefallen, die ich früher übersehen habe.

Nach vielen Stunden des Rennfahrens (vor allem in Le Mans) ist mir der scherenschnittartige Charakter der Fahrphysik mehr als deutlich bewusst geworden. Es gibt eine Ideallinie und wer wenige Zentimeter daneben durch eine Kurve fährt, landet oftmals unweigerlich im Kiesbett oder an der Leitplanke. Von wegen alternative Linien und so… Das spart natürlich Rechenleistung, hat aber wenig mit der Realität zu tun. Selbiges gilt für die Bremspunkte. Entweder man trifft sie oder landet bei Variation schnell außerhalb der Strecke. Auch das schafft klare Ergebnisse und entlastet die Spiel-Engine. Doof, aber okay.

Dann gibt es Etwas, das für mich schwerer wiegt. Stellen wir uns erneut die Rennstrecke von Le Mans vor, die in Forza 3 digitalisiert vorliegt. Eine Runde ist fast 14 Kilometer lang, was ja viel digitales Holz ist. Auf dem Asphaltband mit seinen Geraden, Schikanen und normalen Kurven ist nun ein ganzes Starterfeld unterwegs. Das bedeutet, dass die Spiel-Engine permanent wissen muss, wo jedes der einzelnen Rennautos auf der Rennstrecke mit welcher Geschwindigkeit und Richtung unterwegs ist. Das ist ein richtiger Datenwust, der einiges an Rechenleistung benötigt und der die oben genannten Einschränkungen in der Spielmechanik nachvollziehbarer macht.

Kürzlich hatte ich jedoch einen Aha-Moment, der mir noch mehr über das Spiel verraten hat. Auf irgendeiner Strecke verbremste ich mich so richtig und landete voll im Graben. Da es sich um ein Ausdauerrennen (mit vielen Runden) handelte und das Auto keinen Schaden abbekommen hatte, fuhr ich einfach auf die Strecke zurück und nahm die Verfolgung meiner Konkurrenten auf. Mittlerweile war deren Vorsprung auf 20 Sekunden gewachsen, was mir mehr als genug Zeit ließ, um wieder aufzuschließen. 

Aber dann wurde es absurd. Sobald ich auf einer Geraden (!) die fiktive Ideallinie verließ, wurde der Abstand auf die (nicht sichtbaren) Gegner größer, obwohl ich mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs war. Steuerte ich auf die virtuelle Ideallinie zurück, holte ich am nächsten Messpunkt wieder auf.

Ich glaube, dass ich hier an die Grenzen des Forza-Algorithmus gestoßen bin. Diese merkwürdige „Hochrechnerei“ über imaginäre Ideallinien (auf gerader Strecke ist jede Linie ideal) sagt mir, dass es  eben doch kein virtuelles Modell der Strecke gibt, auf dem faktisch alle Rennautos des Fahrerfeldes unterwegs sind und ein reales Rennen gegeneinander fahren und die in ständig wechselnden Abständen zueinander im Raum existieren. In meinem Kopf ist das eine abstrakte Darstellung, die 1:1 dem Renngeschehen auf einer realen Rennstrecke gleicht. Der Computer tut allerdings nur so, als wäre das der Fall. Genauer gesagt, ist das nur in den Situationen der Fall, wenn sich der Spieler in Sichtweite zu den Gegnern befindet. Ansonsten wechselt das System in ein rein möglichkeitsbasiertes, aus simplen „Wenn – Dann“-Routinen bestehendes Modell: Wenn der Spieler die Ideallinie nicht verlässt, die im System hinterlegt ist, dann kann er aufschließen – weil die computergesteuerten Rennwagen wie auf Schienen immer eine virtuelle Soll-Zeit oder schneller fahren. Wenn der Spieler nicht der Ideallinie folgt, dann fährt er hinterher. Es spielt also keine Rolle, wie schnell die Computergegner wirklich im aktuellen Rennen fahren, sondern wie ihre Fahrt geplant ist. Daraus folgt, dass der Spieler sich entweder innerhalb des vorher definierten Modells befindet oder außerhalb. Ist Letzteres der Fall, vergrößert sich der Abstand wie durch Zauberhand. Es kann eben nicht sein, was laut Programmierern nicht sein darf! 

Das hört sich extrem nerdig an und ist es vermutlich auch. Trotzdem ist es für mich so interessant, dass ich einen Artikel darüber schreibe. Vielleicht ist es die gleiche Faszination, mit der andere Zeitgenossen die Illusion eines Zauberkunststücks aufdecken. Denn genau das sind Videospiele eben, nur eben digital. Sie sind digitale Illusionen!

Aber was hat das mit einem „Glitch“ zu tun? Unter Glitch versteht man in der Elektronik eine zeitlich begrenzte Falschaussage in einem logischen System. Auch Filmfehler werden gelegentlich als Glitch bezeichnet. Einem größeren Publikum ist der „Glitch in der Matrix“ im gleichnamigen Filmuniversum ein Begriff geworden: Der Fehler in der Matrix. In Gamer-Kreisen hat sich dieser Begriff ebenso eingebürgert, meist im Sinne eines Fehlers, den der Spieler ausnutzen kann.

Wir befinden uns immer noch in der Forza 3-Fahrsimulation. Im Wettbewerbsmodus gibt es dort den „International S-Cup“ bei dem Supersportwagen gegeneinander antreten. Schon bei den ersten Rennen bemerkte ich, dass der teilnehmende Bugatti Veyron mein größter Widersacher war. Als „Le Mans“ Austragungsort wurde, rechnete ich mir trotzdem Chancen aus – hatte ich doch in letzter Zeit Stunden mit meinem Sohn darauf verbracht – und kannte gefühlt jeden Quadratzentimeter. Sekunden nach dem Rennstart lösten sich meine Hoffnungen auf, denn der Bugatti war in der ersten Kurve viel zu schnell und hängte mich auch auf den folgenden Kurven ab, um auf der Geraden mit weit über 300 Stundenkilometern das Weite zu suchen.

Der Bugatti war mir so überlegen, dass ich ihn unbedingt testen wollte. Was dann passierte, war kurios: Ich konnte den Wagen unmöglich so fahren, dass ich ebenso schnell wie mein Widersacher durch die Kurven kam. Schon gar nicht in der Geschwindigkeit, mit der das der Computer tat. Nach all‘ meinem „Fahrstunden“ in Forza 3 halte ich die Fahrweise des Computers für physikalisch unmöglich. Es geht nicht!

Aufgrund der Beschränkungen des Cups kann der Spieler keine Modifikationen oder Tuning an den Fahrzeugen vornehmen. Und genau hier liegt der Glitch im Pfeffer: Der Computer-Bugatti Veyron hat im Wettbewerb bessere Reifen, als er haben dürfte, und klebt deshalb am Asphalt, während mein (angeblich identischer) Bugatti wie auf Glatteis aus der Kurve rutscht. Für den Computer gelten nicht seine eigenen Beschränkungen!

Im Internet findet man zu diesem Thema Einträge, u.a. bei Reddit. Irgendwo sollen die Programmierer sich mal zu der Sache geäußert haben. Diese (und andere „Glitches“!) existieren, um das Spiel für den Spieler schlichtweg spannend zu halten. 

Nun ja…da kann man sicher geteilter Meinung sein. Von einem menschlichen Spieler betrogen zu werden, ist schon wenig erfreulich. Dass es systematisch vom  „objektiven“ Computergegner getan wird, fühlt sich für mich ziemlich falsch an! 

Ich will ehrlich sein. Diese Erkenntnisse haben mir das Spiel verdorben. Nein, das stimmt nicht… Das Wissen über diese Zusammenhänge hat mir die Illusion einer Rennsimulation verdorben. Die Macher von Forza 3 haben keine Rennsimulation erschaffen, sondern sie simulieren eine Rennsimulation. Mein Sohn hingegen sieht das anders. Für ihn ist dieser Sachverhalt noch nicht ganz so transparent und Videospiele haben für ihn noch etwas mystisch Geheimnisvolles. Außerdem baut er viel zu gerne Hochgeschwindigkeitscrashs mit den computergesteuerten Gegnern und erzeugt damit gelegentlich seinerseits Glitches, wenn sich z.B. ein Rennwagen hinter einer Leitplanke verhakt und es nicht mehr zurück auf die Rennpiste schafft.
Meine Xbox 360 werde ich natürlich nicht einmotten, dafür jedoch mal zur Playstation 3 meines Schwagers wechseln, um dort im Einzelspielermodus Gran Turismo zu spielen. Es gibt ja noch viele Rennen zu fahren!


Deine Meinung interessiert mich natürlich: info@stefanhensch.de

Schade, dass er nicht getroffen hat

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„Schade, dass er nicht getroffen hat“, „Wenn er tot wäre, hätten wir ein Problem weniger“. „Das hat er doch selbst gestaged.“
Solche und teilweise noch drastischere Aussagen habe ich diese Woche über das Attentat auf Donald Trump gehört. Erinnern wir uns: Der ehemalige amerikanische Präsident wurde kürzlich Opfer eines Attentats, bei dem jemand mit einem Präzisionsgewehr auf ihn schoss und ihn dabei nur am Ohr traf. Animationen tauchten auf, in denen zu sehen ist, dass Trump im letzten Moment den Kopf leicht drehte und somit knapp einem potenziell tödlichen Kopfschuss erlitt. Ebenso erlitt er einen Treffer am Oberkörper, der von seiner schusssicheren Weste aufgefangen wurde. Damit muss man sagen: Es war ein ernster Angriff auf das Leben eines unbewaffneten Menschen und nur der Zufall hat Donald Trump das Leben gerettet. 
Auch die Reaktionen der amerikanischen und größtenteils auch der deutschen Meden sprach Bände.  So lange wie es ging sprach man von einem „Zwischenfall“ und das Donald Trump die Veranstaltung hätte „verlassen“ müssen. Die Bezeichnungen „Anschlag“ und „Attentat“ fand man so gut wie nirgends. Wäre das auch bei Joe Biden, Olaf Scholz oder Angela Merkel der Fall gewesen? Ich glaube nicht. Und genau da fängt das Problem an!
Donald Trump und seine Politil ist mir völlig egal – genau wie Joe Biden oder jeder andere Politiker. Trump ist für mich ein Mensch, sonst nichts. Ich persönlich glaube an ein „Recht auf Leben“ und ein „Recht auf körperliche Unversehrtheit“. Deshalb hat niemand Hand an jemand anderes zu legen. Ganz einfach!
„Aber es ist doch Donald Trump!“ Und sage ich: Egal, was spielt das für eine Rolle? Niemand ist das legitime Ziel eines Mordanschlags! 
Ich halte die oben skizzierte Geisteshaltung für sehr gefährlich, stellt sie doch nichts anderes als eine krasse Entmenschlichung dar und das steht niemandem zu. Federführend für diese toxische Atmosphäre sind meiner Meinung nach die Medien, die Donald Trump in der öffentlichen Wahrnehmung als Mischung aus James Bond-Bösewicht und Zirkusclown aufgebaut haben. Vielleicht braucht auflagenstarker Journalismus primitive Narrative, wie sie der BILD aus den Neunzigern  gefallen hätten. Guter Journalismus ist es nicht und er hat auch keine positive Wirkung auf Lieschen Müller und ihre Geschwister.
Absurd ist es, wenn Donald Trump von irgendwelchen Alphajournalisten nicht als Ursache, sondern als Synonym eines verrohten Zeitgeistes bezeichnet wird. Wer ist denn der mächtigste Wegebner dieses Zeitgeistes, wenn nicht die Medien selbst?
Mir ist der amerikanische Wahlkampf völlig egal und demnach spielt es für mich keine Rolle, ob Trump oder Biden gewinnt. War die Präsidentschaft von Donald Trump so schlecht und die von Joe Biden so viel besser? Ich glaube, es ist völlig egal. Für die Medien stellt ein Gewinn von Trump die (erneute) Apokalypse dar, während der von Biden für den ominösen Status Quo steht. Das gilt natürlich nur dann, wenn Biden nicht noch abgesägt wird…
Nein, ich schreibe das aus deutscher Sicht. Mir ist es einfach zuwider, mit Menschen zusammenzuleben, die den Tod eines Menschen gutheißen. Das ist für mich der Ausverkauf sämtlicher Werte, derer wir uns rühmen. Vielleicht ist es auch die Offenbahrung darüber, was wir uns zu glauben vorgespielt haben? Wenn das zutrifft, ist Donald Trump wirklich nur ein Symptom unserer Zeit. In dem Fall sind wir alle Donald Trump. Ich finde diese Vorstellung hässlich und lehne sie ab! 

Die Kurzgeschichte, die auf TikTok gelöscht wurde

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Ja, TikTok sperrt auch reine Textbeiträge und interessiert sich für Kunstfreiheit wie ein fleischfressendes Bakterium für Veganismus. Gut, auf der Plattform sind auch Kinder anwesend – damit kann ich mich arrangieren. Trotzdem ist man bei anderen Beiträgen (sexueller Natur) durchaus toleranter. Merkwürdig!

Was aber ist das für eine Kurzgeschichte, die zu hart oder heiß für TikTok gewesen ist? Nun, hier ist sie:

Die Meisterköchin

Sandra liebte Kondome, besonders benutzte. Am Sonntagnachmittag besuchte sie gerne den Dornheckensee. In den Gebüschen fand sie zahlreiche Gummis, manche mit einem bräunlichen Farbton. Das erste der Häute lutschte sie genießerisch aus, die anderen kamen in die Handtasche. Zuhause entleerte sie die köstliche Flüssigkeit in einen Topf und nutzte sie als Grundlage für die Sauce, die die Gäste ihres Restaurant so sehr liebten.

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Du bist alt, wenn…

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Heute ist mein 46. Geburtstag. Das fühlt sich für mich so nichtssagend an, wie es sich vermutlich liest. Der 30. Geburtstag war hart, wirklich. Kurz vorher war ich auf einer Party und wurde dort von einer jüngeren Besucherin gefragt, wo denn die Toilette sei. An und für sich kein Problem, wenn sie mich nicht gesietzt hätte. Niemals zuvor hat mich irgendwer im privaten Umfeld gesietzt. Irgendwann ist eben jeder dran.

Früher gab es in der BILD diese Liebe ist… Comicstrips des  neuseeländischen Karikaturisten Kim Casali. Ja, ich gehöre zu den Menschen, die jahrelang dieses Blatt konsumiert haben. Meine Oma hat die BILD mitgebracht und ich habe sie (meist auf der Toilette) gelesen. Natürlich hatte ich dabei auch immer meinen Spaß mit dem Seite 1-Mädchen und seinen völlig abstrusen Geschichten. Hach, das war einfach eine andere Zeit. (Ich habe gerade recherchiert, die Comicstrips gibt es immer noch auf der Rückseite der Zeitung, das Seite 1-Mädchen ist leider schon längst Geschichte.) Analog zu den Casali-Strips kann man sagen: Du bist alt, wenn…

Den Anfang in dieser Reihe möchte ich hier anbieten:

Du bist alt, wenn… niemand mehr für Dich im Restaurant bezahlt.

Erinnerst Du dich noch? Einfach von der Speisekarte aussuchen, was immer Du wolltest. Papa, Mama, Opa oder Oma haben dann bezahlt. Das ist irgendwann vorbei. Meist passiert das schleichend, sodass es dich irgendwann wie mit einem Vorschlaghammer erwischt, wenn es Dir wie Schuppen von den Augen fällt. Genauso ist das ja grundsätzlich auch mit Weihnachten, den Geburtstagen und anderen Anlässen, wo andere etwas für dich vorbereiten und dich damit überraschen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem Du dein letztes „unschuldiges“ Weihnachtsgeschenk ausgepackt hast. Danach kannst Du dir dann vielleicht selbst kaufen, was Du willst. Aber das ist nicht mehr das Gleiche, zumindest für mich.

Es ist ein wenig wie mit dem Christkind/Weihnachtsmann. Wenn Du einmal weißt, dass die Geschenke nicht von einem der beiden Gestalten gebracht werden, ist Weihnachten anders. Trotzdem bleibt es irgendwie doch noch magisch. Deshalb ist der Sprung vom letzten „unschuldigen“ Geschenk zum Do-It-Yourself-Geschenk (Gutschein, Geld oder in Auftrag gegebene Geschenke) größer und unangenehmer. Vollends vorbei ist es dann, wenn Du selbst ein Kind hast. Dann bist Du an diesen Tagen nur noch Karl oder Carla Arsch. Aber so ist es eben. Nicht? Dafür darfst Du dir jetzt dein Leben mit einer hirnlosen Arbeit herumschlagen und die Miete zusammenkratzen. Genau so haben wir uns das doch als Kinder ganz bestimmt vorgestellt…

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„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ von Hubert Selby

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Das Buch stammt aus 1964 und wurde von Hubert Selby verfasst. In Deutschland wird das Buch als Roman bezeichnet, wobei es aus sechs mehr oder minder miteinander verwobenen Prosastücken besteht.

Hubert Selby lebte von 1928 bis 2004 und wurde in Brooklyn geboren, folglich kann man davon ausgehen, dass er sehr viele eigene Beobachtungen in dem Buch verarbeitet hat. Selby verließ mit 15 Jahren die Schule und ging zur Handelsmarine, wo er sich mit Tuberkulose infizierte. Ihm musste ein Lungenflügel entfernt werden und er kehrte schwerkrank zurürck. Im Laufe seines Lebens wurde er alkohol- und drogenabhängig, was auch zu einem Gefängnisaufenthalt führte. 

„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ war Selbys Debüt und war ein großer Erfolg. Das Buch wurde in England verboten, was seiner Verbreitung nicht geschadet hat. 1989 wurde es von Bernd Eichinger verfilmt. Selby schrieb weitere Bücher wie „Mauern“, „Der Dämon“ und „Requiem für einen Traum“. Letzterer Roman wurde 2000 ebenfalls sehr erfolgreich von Darren Aronofsky verfilmt.

Meinen ersten Kontakt mit Hubert Selby war nicht „Letzte Ausfahrt Brooklyn“, sondern das in Deutschland viel weniger bekannte „Der Dämon“, das ich zufällig vor 20 Jahren in einem Bonner Antiquariat besorgte. Der Roman war sehr intensiv, düster und ein Schlag auf die Nase. Genauso verhält es sich mit „Letzte Ausfahrt Brooklyn“, nur noch viel mehr.

Das Buch ist dreckig, düster, brutal und skizziert eine gewalttätige Welt dar, aus der es keinen Ausgang und keine Ausfahrt mehr gibt. Da ist die Prostituierte Tralala, der Gewerkschaftsmann Harry, der Schläger Vinnie, die Homosexuelle Georgette, die Witwe Ada und viele andere. Das sind die Protagonisten, denen wir ein Stück durch ihr Leben in den ärmlichsten Vierteln von Brooklyn in den Fünfzigern folgen. Es sind Menschen, wie Menschen eben sind: Mit Fehlern, tragischen Lebenssituationen und eigentlich alle längst gebrochen. 

Die ersten 5 Prosastücke wirken enger miteinander vernetzt, als das letzte. Erzählerisch gibt es dort auch einen Bruch, da Selby dort kürzere Kapitel benutzt und dementsprechend wild hin- und her springt. Hier finden sich dann auch mehr stilistische Experimente, als dies in den anderen Teilen ohnehinschon der Fall ist.

„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ erschien in den Sechzigern und muss damals auch mit seiner Ästhetik ein Schock gewesen sein: Rechtschreibung, Interpunktion und wörtliche Rede erfindet Selby einfach neu und nutzt sie, um Stimmung und radikale Tempowechsel zu vollziehen. Mikroskopische Szenen wechseln sich mit der makroskopischen Darstellung eines Streiks inklusive dessen unterschiedlichen Funktionärsebenen ab. Vergleicht man dieses Buch mit vielen heute erscheinenden Werken, wirkt es aktueller und moderner, während sich heutige Autoren und Verlage viel mehr den Konventionen beugen. Hubert Selby nicht. Er macht, was er will und wie er es will. Und er ist verdammt gut darin. 

Eine „Gute-Laune-Buch“ liegt hier jedoch wirklich nicht vor. Selby schildert das Drama der menschlichen Existenz im Allgemeinen und die Situation in Brooklyn so gut, dass ich manchmal wirklich Schwierigkeiten beim Lesen hatte. „Unterhalten“ will der Autor definitiv nicht, aber er packt einen an den Haaren und zwingt zum Nachdenken.

Das sechste und letzte Prosastück war mir zu viel, vielleicht auch zu sehr gewollt. Vielleicht wollte Selby damit den „Brooklyn-Kosmos“ erweitern, noch experimenteller sein oder was auch immer. Beinahe hätte er mich da verloren, was aber schade gewesen wäre – denn auch dieser Teil ist lesenswert und lohnt sich. Hier werden Gedanken und Personen zu Ende gedacht, gerade auch das Schicksal der Kinder wird sehr eindrücklich geschildert.

„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ ist auch 2024 noch ein hervorragendes Buch, das nichts von seiner Relevanz verloren hat. Auch heute ist der Mensch ein Mensch und deshalb ist dieses Buch zeitlos. 

Einen Gedanken noch zu Bernd Eichingers Verfilmung von 1989. Es handelt sich um eine herausragende „Romanverfilmung“, die man ebenfalls noch sehr gut sehen kann. Der Film glättet und vereinfacht die Inkongruenzen der Vorlage durch massive Eingriffe (Personen werden ausgetauscht; es passieren Dinge, die so nicht im Buch waren usw.) Die massivste Freiheit nimmt sich der Film im Fall von Tralala und mildert damit die Darstellung von Selby massiv ab. Vielleicht hätte der Film auch nicht anders in die Kinos kommen können. Leider macht das den Film zu einer schlechteren Literaturverfilmung, auch wenn er wesentlich zugänglicher als das Buch ist und gerade deshalb sehr hilfreich für Selby gewesen sein dürfte.

Abschließend muss für den deutschen Leser natürlich noch gesagt werden, dass dieser Roman überall spielen könnte. Das skizzierte Brooklyn ist eher ein Symbol für das, was aus Menschen werden kann. Insofern verhält es sich vielleicht wie mit der „Hölle“ – das ist unserem heutigen Verständnis nach kein realer Ort, sondern ein Seinszustand in uns.

Bedeutungslose Europameisterschaft

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Endlich ist es soweit, es ist wieder Fußballzeit. Die Fußball EM findet dieses Jahr in Deutschland statt. Ist das nicht toll?

Mir ist es völlig egal, ich kenne kaum einen der deutschen Spieler namentlich und ich weiß nur, dass die Nationalmannschaft (so man sie denn so überhaupt noch nennt) das erste Vorrundenspiel gewonnen hat. Schön für sie, nicht?

Selten war mir Fußball egaler. Worum geht es dabei? Zweiundzwanzig schöngeföhnte Millionäre rennen hinter einem Ball her und schießen Tore. Wenn die eine Mannschaft gewinnt, kommt sie weiter. Vielleicht gewinnt sie sogar denn Wettbewerb. Was sich dadurch ändert? Nun, der Gewinner bekommt einen schönen Pokal.

Mir erschließt sich die Begeisterung nicht, die große Teile der Bevölkerung hegen. Wenn man selbst Fußball spielt und auch sonst vielleicht „Fan“ eines Vereins ist – okay, kann ich verstehen. Man sucht sich seine Leidenschaften nicht immer aus.

Worin aber liegt die Faszination für Menschen, die sich ansonsten nicht für diese Sportart interessieren? Nur weil die Mannschaft jetzt „Deutschland“ heißt, muss man sich doch dafür nicht interessieren. Sonst hätte man ja auch mal ein Spiel eines anderen Teams ansehen können?

Insgesamt hat die ganze Veranstaltung für mich etwas extrem Nihilistisches. Es ist völlig bedeutungslos, was bei einem Spiel herauskommt und wer am Ende gewinnt. In einem Land der 1000 Probleme wirkt es schon ziemlich absurd, wenn man sich von einem Ballspiel so dermaßen ablenken lässt. Nichts gegen Ablenkung – aber wozu kollektiv?

Selbst wenn „wir“ Europameister werden, ändert das rein gar nichts an meinen individuellen Themen, denen meiner Familie, meiner Stadt, meines Kreises, meines Bundeslandes oder meines Heimatlandes. In dem Fall hat man dann seine Zeit mit ein paar Wochen Fuppes verdödelt. Kann man machen, aber gibt es nichts Sinnvolleres? Mal ein Buch lesen, einfach miteinander sprechen, an die Luft gehen oder meditieren? 

Gewinnspiel

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Am Samstag ist mit Professor Zamorra Band 1303 „Gestrandet“ mein neuester Beitrag zur Serie erschienen. Ich habe mir dazu ein kleines Gewinnspiel überlegt.

Dieses bezaubernde Wesen hier hat als Inspiration für ein Wesen im Roman gedient. Wer ist gemeint? Jeder der mir bis zum 19.5.2024 eine E-Mail mit dem richtigen Namen und seiner Postanschrift an info@stefanhensch.de schickt, gewinnt ein signiertes Heft und bekommt es frei haus zugeschickt.

Das Teilen dieses Beitrags und das Abonnieren meiner Autorenseite wird gern gesehen, ist aber keine Gewinnvoraussetzung!

Die Spielregeln:

  • Jeder Einsender darf nur 1x teilnehmen
  • Abgabe nur solange Vorrat reicht. Sollte es mehr Einsendungen als Belegexemplare geben, entscheidet das Los.
  • E-Mails werden bis einschließlich 19.05.2024 berücksichtigt
  • Gewinner werden an dieser Stelle bekanntgegeben
  • Es können nur Einsendungen per E-Mail an info@stefanhensch.de berücksichtigt werden. Nicht per Buschtrommel, Anruf oder Brieftaube. Denkt bitte an Eure Postanschrift!

#Eigenwerbung

Warum ich „Lawmen: Bass Reeves“ für eine extrem schlechte Serie halte

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In den meisten Rezensionen ist man sich einig: Lawmen ist eine verflucht gute Serie. Ich werde hier darlegen, weshalb das meiner Meinung nach definitiv nicht der Fall ist.

In Folge 1 ist alles hervorragend: Bass befindet sich als Diener in den Diensten eines Offiziers der Südstaaten. Dichte Atmosphäre, Action, interessante Charaktere, tolle Bilder. Davon wollte ich mehr!

Mit jeder Folge wird die Serie schlechter. Das fängt schon damit an, wie Bass zum Hilfsdeputy gemacht wird. Woher kennt der Deputy ihn und weiß von seinen Fähigkeiten? Das bleibt nebulös. Genauso fraglich ist, weshalb Bass später zum Deputy gemacht wird. Hätte es da nicht Ressentiments geben müssen?

Überhaupt wird das Rassismus-Thema nur in Folge 1 gezeigt und dann erst wieder in Folge 5. Geographisch hat sich nichts verändert – hat man das einfach vergessen?

Nach Folge 1 gibt es auch keine nachvollziehbare Entwicklung von Bass oder irgendwem sonst. Wir sollen das glauben, weil er sich anders verhält. Aber warum tut er das?

Ein anderer Kritikpunkt betrifft den Protagonisten. Wir wissen nicht viel von ihm, außer dass er ein ehemaliger Sklave ist. Macht ihn das zu einem besseren Menschen? Ich weiß es nicht. Selbiges lässt sich auch über Bass‘ Familie sagen. Der Zuschauer soll sie sympathisch finden, dabei bleibt es jedoch. Liebt Bass seine Frau überhaupt? Sie behandelt ihre Kinder nicht besonders liebevoll, ihren Mann auch nicht. Wer ist sie überhaupt und was will sie? 

Kommen wir jetzt zu den zahlreichen Szenen in Dunkelheit. Selten ist mir das so unglaublich auf die Nerven gegangen. Vermutlich soll das irgendeine Stimmung erzeugen, bei mir hat es Frust erzeugt. Muss es selbst in Räumen mit Kerzen stockfinster sein? Natürlich gab es damals keine Halogenlampem, klar. Aber muss es so dermaßen dunkel sein? 

Dann ist da die Sache mit dem Schnauzbart… Ab Folge 2 trägt der Hauptdarsteller einen Bart. Ein guter Schauspieler würde sich von einer solchen banalen Nebensache sicherlich nicht einschränken lassen – Bass raubt dieser Gesichtsschmuck sämtliche Ausdrucksfähigkeit, da er ja auch nicht besonders viel spricht.

Für mich ist die Serie trotz der guten Nebendarsteller Dennis Quaid und Donald Sutherland eine Vollkatastrophe. Die Story des ersten schwarzen Marshalls interessiert mich jedoch weiterhin, deshalb werde ich mir die zugrundeliegenden Bücher zulegen, so sie denn übersetzt werden.

Abschließend stelle ich mir die Frage, welche Relevanz die Rezensionen großer Portale überhaupt noch haben. Sicherlich sind Geschmäcker verschieden, aber hier ist meiner Ansicht nach etwas faul. Vielleicht hat man sich nur die anständige erste Episode angesehen, vielleicht verbuchen wir angeblich objektive „Rezensionen“ zukünftig lieber unter „Marketing“… Irgendeines der der angesprochenen „Haare“ hätten die reichweitenstarken Seiten in der „Lawmen-Suppe“ finden müssen – doch dem ist angeblich nicht so… Seltsam, nicht?