Henschs Kanon Platz 1: Unter Wilden von Dirk Wittenborn

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„Henschs Liste“ muss natürlich mit einem Titel beginnen und das ist ganz klar „Unter Wilden“ von Dirk Wittenborn. Es ist mein erklärtes Lieblingsbuch und muss deshalb an dieser Stelle platziert sein. Wenn es einen „wertenden“ Unterschied in diesem Kanon gibt, dann besteht er zwischen diesem ersten Platz und allen folgenden Werken. 

Ich habe „Unter Wilden“ mehrfach innerhalb mehrerer Jahre Abstand gelesen und werde es auch weiterhin tun. Es ist exakt auf die Weise geschrieben, dass man vergisst, überhaupt einen Text zu lesen. Dennoch ist es ganz und gar kein Gute-Laune-Buch, das man einfach so wegliest. Es stellt beiläufig existenziellste Fragen über das Leben und fordert den Leser zum Mitdenken auf. Was wollen Menschen, die längst alles besitzen?

Die Geschichte ist spannend und man fühlt mit den glaubwürdig geschilderten Charakteren mit, auch wenn man die Story längst kennt. Nie ist das Buch laut, selbst wenn es dramatisch wird. Der Erzählstil ist kunstvoll minimalistisch und lässt Raum für eigene Spekulationen.

Aber worum geht es? Der Junge Finn Earl schafft dank seiner Mutter den Aufstieg aus prekärsten New Yorker-Verhältnissen in die Welt der absolut Superreichen. Wie das geschieht, möchte ich an dieser Stelle nicht thematisieren, da dies zu viel vorwegnehmen würde. Doch auch dort ist mitnichten alles eitel Sonnenschein. Ob er sich in diesem Haifischbecken behaupten kann?

Im Grunde handelt es sich bei „Unter Wilden“ um einen klassischen Bildungsroman. Irgendwo wurde geschrieben, dass es sich um den „Fänger im Roggen“ der 2000er Jahre handeln würde. Dem kann ich nur bedingt zustimmen, denn „Unter Wilden“ ist viel zu eigenständig, als dass es sich nur um ein Update handeln würde.

Thema des Buches ist unsere Gemeinschaft und die Rolle der Superreichen. Parabelhaft vergleicht das Buch gerade diesen Teil unserer Gemeinschaft mit einem wilden Stamm am Amazonas und das Ergebnis Macht nachdenklich. 

Der Roman wurde leider verfilmt. Leider, obwohl es sich um eine gute Verfilmung mit Donald Sutherland in Bestform handelt. Verfilmungen haben nämlich für gewöhnlich zur Folge, dass Romane vom Markt verschwinden – die Verlage können oder wollen nicht mehr die exorbitant gestiegenen Lizenzgebühren zahlen. Deshalb ist „Unter Wilden“ nur noch antiquarisch als Hardcover und Taschenbuch erhältlich.

Obwohl eine Verfilmung existiert, hat der Roman nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die ihm zusteht. Das Leben ist eben nicht gerecht, was auch ein Thema des Buches ist.