HENSCHS KANON PLATZ 2: UNTER NULL VON BRET EASTON ELLIS

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Bret Easton Ellis hat mich wie kaum ein anderer Schriftsteller beeinflusst – sei es mit American PsychoThe Shardsoder eben mit Unter Null. Vielleicht wird sich deshalb noch ein weiteres seiner Bücher in diesem Kanon wiederfinden. Wer weiß?

Unter Null ist Ellis’ Debütroman und erreicht dennoch einen derart hohen Grad an Perfektion, dass es beinahe beängstigend ist.

Worum geht es? Die Achtziger, L.A., schöne, junge und reiche Menschen, Drogen, Gleichgültigkeit. Clay studiert an einer Universität und kehrt zu den Feiertagen in seine Heimat und zu seiner alten Clique zurück. Natürlich hat sich während seiner Abwesenheit einiges verändert – und nicht zuletzt sind die Abgründe tiefer geworden. Wer Nihilismus in seiner reinsten Form erleben will, findet ihn in diesem Roman.

Ich habe in meinem Leben nicht gerade wenig gelesen – sonst wäre mir die Idee zu „Henschs Kanon“ wohl nie gekommen. Horror, Grusel und Splatter standen von jeher in meinem Bücherregal; ich bin also keinesfalls zartbesaitet. In Unter Null ist Bret Easton Ellis jedoch etwas gelungen, was bislang keinem anderen Autor gelungen ist: Ich habe gelernt, den Protagonisten Clay abgrundtief zu hassen. Für mich ist er ein noch größeres Ungeheuer als der Poser Patrick Bateman in American Psycho.

Gleichzeitig ist Unter Null ein wunderschöner Roman, der die Leser in eine kalte Neonwelt hineinzieht und uns unsere eigene Gleichgültigkeit vor Augen hält. Liegt es vielleicht genau daran, dass ich Clay nicht ausstehen kann? Wer weiß …

Schon in seinem Erstlingswerk gelingt es Ellis, ein perfektes Gesellschaftsporträt zu zeichnen. Wie in American Psychoerkennt er Trends, die sich erst ein Jahrzehnt später voll entfalten: zum Beispiel die sensationslüsterne Gier der Menschen, die sie zunächst in Realityshows und später in Social-Media-Feeds stillen.

Unter Null ist ein zu Unrecht ziemlich vergessenes Werk von Bret Easton Ellis. Das sollten wir ändern!

Henschs Kanon Platz 1: Unter Wilden von Dirk Wittenborn

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„Henschs Liste“ muss natürlich mit einem Titel beginnen und das ist ganz klar „Unter Wilden“ von Dirk Wittenborn. Es ist mein erklärtes Lieblingsbuch und muss deshalb an dieser Stelle platziert sein. Wenn es einen „wertenden“ Unterschied in diesem Kanon gibt, dann besteht er zwischen diesem ersten Platz und allen folgenden Werken. 

Ich habe „Unter Wilden“ mehrfach innerhalb mehrerer Jahre Abstand gelesen und werde es auch weiterhin tun. Es ist exakt auf die Weise geschrieben, dass man vergisst, überhaupt einen Text zu lesen. Dennoch ist es ganz und gar kein Gute-Laune-Buch, das man einfach so wegliest. Es stellt beiläufig existenziellste Fragen über das Leben und fordert den Leser zum Mitdenken auf. Was wollen Menschen, die längst alles besitzen?

Die Geschichte ist spannend und man fühlt mit den glaubwürdig geschilderten Charakteren mit, auch wenn man die Story längst kennt. Nie ist das Buch laut, selbst wenn es dramatisch wird. Der Erzählstil ist kunstvoll minimalistisch und lässt Raum für eigene Spekulationen.

Aber worum geht es? Der Junge Finn Earl schafft dank seiner Mutter den Aufstieg aus prekärsten New Yorker-Verhältnissen in die Welt der absolut Superreichen. Wie das geschieht, möchte ich an dieser Stelle nicht thematisieren, da dies zu viel vorwegnehmen würde. Doch auch dort ist mitnichten alles eitel Sonnenschein. Ob er sich in diesem Haifischbecken behaupten kann?

Im Grunde handelt es sich bei „Unter Wilden“ um einen klassischen Bildungsroman. Irgendwo wurde geschrieben, dass es sich um den „Fänger im Roggen“ der 2000er Jahre handeln würde. Dem kann ich nur bedingt zustimmen, denn „Unter Wilden“ ist viel zu eigenständig, als dass es sich nur um ein Update handeln würde.

Thema des Buches ist unsere Gemeinschaft und die Rolle der Superreichen. Parabelhaft vergleicht das Buch gerade diesen Teil unserer Gemeinschaft mit einem wilden Stamm am Amazonas und das Ergebnis Macht nachdenklich. 

Der Roman wurde leider verfilmt. Leider, obwohl es sich um eine gute Verfilmung mit Donald Sutherland in Bestform handelt. Verfilmungen haben nämlich für gewöhnlich zur Folge, dass Romane vom Markt verschwinden – die Verlage können oder wollen nicht mehr die exorbitant gestiegenen Lizenzgebühren zahlen. Deshalb ist „Unter Wilden“ nur noch antiquarisch als Hardcover und Taschenbuch erhältlich.

Obwohl eine Verfilmung existiert, hat der Roman nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die ihm zusteht. Das Leben ist eben nicht gerecht, was auch ein Thema des Buches ist.