Mit einer gehörigen Verspätung komme ich nun auch auf das Ende der Lindenstraße zu sprechen. Als die erste Folge der Serie am 8. Dezember 1985 ausgestrahlt wurde, war ich 7 Jahre alt. Zusammen mit meinen Eltern habe ich die Serie wohl weit mehr als die Hälfte der insgesamt 35 Jahre verfolgt. Irgendwann in den 2010er Jahren habe ich dann abreißen lassen (Für Insider: Das Auftreten von „Chantal“ hat dafür gesorgt, dass ich die Serie nicht mehr ernstnehmen konnte. Das war 2013).
Dennoch bin ich etwas traurig. dass nach Stefan Raab und Jürgen Domian (der Gott sei Dank gerade wieder sein Comeback feiert) eine weitere Institution des deutschen Fernsehens am 29. März 2020 verschwunden ist – auch wenn ich schon lange kein aktiver Zuschauer mehr gewesen bin.
Es gibt sogar eine kleine Anekdote, wie ich mit den Machern der Serie in Kontakt gekommen bin. Wahrscheinlich war es kurz nach der Jahrtausendwende, als sich ein junger Stefan Hensch mit einer Bewerbung an die Redaktion der Lindenstraße gewandt hatte. Eine Mitarbeit an der Familienserie war schon lage ein Träumchen, warum es nicht also einfach mal versuchen? Ich bekam damals sogar eine Antwort, die aber auch nicht besonders freundlich formuliert war. Damit hatte sich das Thema erledigt, ich blieb der Serie aber wie einer alten Gewohnheit weiterhin treu.
Bis eben 2013 „Chantal“ ihren Auftritt hatte. Ich habe natürlich nichts gegen die Schauspielerin Lilian Büchner, die rückblickend wahrscheinlich sogar ihren Job gut gemacht hat. „Chantal“ war zum damaligen Zeitpunkt ein weiterer Versuch, die Lindenstraße für ein jüngeres Publikum attraktiver zu machen. Die Versuche waren jedenfalls nicht von Erfolg gekrönt, denn Lindenstraße wurde aufgrund kontinuierlich sinkender Quoten abgesetzt. Die Serie hatte ihren Markenkern verloren und zehrte nur noch von ihren (verbliebenen) Altgrößen wie z.B. Mutter Beimer. Neue konstante Darsteller von einem ähnlichen Kaliber konnten nicht etabliert werden.
Aber war das wirklich der Grund zum Scheitern dieses Projekts? Zumindest für mich war noch etwas anderes ausschlaggebend dafür, dass die Lindenstraße mich zuletzt ziemlich genervt hatte. Ich spreche natürlich von dem volkspädagogischen Ansatz der Serie. Dieser Punkt gehörte vom Anfang an zu ihrer DNA. Die Macher thematisierten immer wieder heiße Eisen, was ich sehr gut fand. Doch mit den Jahren veränderte sich unsere Gesellschaft, aber die Serie war immer noch total „1985“. Auch reine Unterhaltungssendungen können (und sollten) gesellschaftliche Themen aufgreifen und dürfen auch zum Nachdenken anregen. Dies sollte 2020 aber nicht mehr in fast schon scherenschnittartigen Richtig-Falsch-Plots erfolgen. Wenn man kein Kind mehr ist, stellt man fest, dass die Welt sich gar nicht mehr so einfach in schwarz und weiß teilen lässt. Anstelle dessen herrschen unzählige Abstufungen von Grautönen vor. Eine Serie sollte deshalb nicht als verlängerter Arm einer (wie auch immer gearteten) Ideologie werden, sondern viel eher zum Nachdenken anregen. Ansonsten läuft man als Macher nämlich Gefahr, weltfremde Lösungen für alltägliche Probleme zu präsentieren. Dies passierte in Lindenstraße viel zu oft und gab der Serie regelmäßig einen fast schon parabelhaften Charakter.
Am Ende blieb für mich genau das auf der Strecke, weshalb sich Menschen überhaupt Fernsehserien ansehen und Bücher lesen: die Story und die Charaktere. Das war dann meiner Meinung nach auch der Sargnagel für die Lindenstraße.
Trotz aller Kritik hinterlässt die Serie jedoch eine Lücke in der deutschen Fernsehlandschaft. Ja, es gibt natürlich andere Soaps: Rote Rosen, In aller Freundschaft, GZSZ (bald mit der 7000. Folge), Berlin bei Tag und Nacht, Köln 50667. Das sind absolut keine schlechten Serien, sondern auf ihren Markenkern reduzierte Soap-Formate. Allesamt sind sie erfolgreich und machen vieles besser, was die Lindenstrasser vernachlässigte. Was diese Serie aber nicht bieten, ist die „Sandbox“ für Experimente und vielleicht auch der gelegentliche Tiefgang von Lindenstrasse.
Seit meiner Bewerbung bei der Lindenstrasse ist auch in meinem Leben viel passiert. Ich schreibe immer noch und werde auch veröffentlicht. Zu einer Mitarbeit als Autor für eine Fernsehserie ist es dabei aber noch nicht gekommen. Momentan unternehme ich auch keinerlei Anstrengungen in diese Richtung. In näherer Zukunft möchte ich vielmehr einige eigene Projekte angehen. Aber selbstverständlich schließe ich an dieser Stelle auch nichts aus. Das hat mir nämlich mein Leben gezeigt: Es gibt manchmal wirklich verrückte Entwicklungen …
Tschö Lindenstraße, war trotzdem irgendwie immer nett mit Dir. Vielleicht gibt es in 20 Jahren ja mal ein Reboot?