Ästhetik der Stumpfheit: The Shards 

Standard

von Bret Easton Ellis

13 Jahre hat es gedauert, bis ein neuer Roman von Bret Easton Ellis erschienen ist. Er trägt den Titel „The Shards“ (Die Scherben), hat einen Umfang von 736 Seiten und ist beim Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen.

Es geht um die Erlebnisse einer Schülergruppe um den Siebzehnjährigen Bret Ellis im Los Angeles des Jahres 1981 und das Auftauchen eines Serienmörders. Soweit so gut, das sind alles Ingredienzen die man von Bret Easton Ellis kennt UND schätzt. Haben wir es also mit einem weiteren Meisterwerk zu tun?

Erzähler ist „Bret Ellis“, der jedoch nicht mit Bret Easton Ellis identisch ist, aber sicher einiges gemeinsam hat.  Man merkt also, Autofiktion gehört auch zu The Shards.

Das Buch ist ein absoluter Pageturner, der das Sujet der frühen Achtziger und ihrer Popkultur hervorragend einfängt. Langweilig war die Lektüre nie, jedoch gibt es auch Kritikpunkte. Im Gegensatz zu Ellis‘ bisherigen Werken ist das Buch geradezu verschwenderisch umfangreich. Für mich als absoluten Fan des Autors ist das jedoch alles andere als negativ. Wenn man anstelle einer 0,75 Liter Flasche seines Lieblingsweins auch eine 1,5 Liter Pulle haben kann – warum nicht? 

Einschränkend darf nicht unerwähnt bleiben, dass The Shards niemals als Debütwerk in seiner jetzigen Form erschienen wäre. Muß es auch nicht, Ellis ist ja Bestsellerautor. Trotzdem wurde hier eine Chance verschenkt – das Buch hätte mit massiven Kürzungen zu einem Meisterwerk wie Unter Null oder American Psycho werden können. The Shards ufert einfach aus und verliert zu oft seinen roten Faden. Dreihundert Seiten weniger wären „mehr“ gewesen. So bleibt The Shards wahlweise ein „gutes Buch“ und „sehr gutes Buch“. Warum ich zwei Wertungen gebe?

Wer Unter Null kennt, muss The Shards  einfach lieben, dient es doch als Schlüsselroman und Interpretationshilfe für Clay, den Protagonisten von Unter Null. Wie wurde er so abgestumpft und was soll sein Nihilismus? Für Leser von Unter Null verdient das Buch definitiv ein sehr gut. Für alle anderen bleibt es ein zweifellos gutes Buch, mehr aber nicht.

Es wird gefickt, masturbiert, geblasen, Blut und Sperma spritzen literweise. Die Szenen fügen sich organisch in die Handlung und wirken keinesfalls sensationslüstern.

Von der Handlung verrate ich nichts weiter, denn das sollte man selbst erlesen. Stilistisch hat sich Ellis weiterentwickelt, er bleibt sich jedoch stets treu. Mir persönlich ist der Stil fast schon zu verschnörkelt, deshalb gefällt mir Unter Null immer noch besser.

Am Ende bleibt eigentlich nur eine Frage: Lese ich als nächstes Unter Null, oder American Psycho? Oder besser nochmal beides?